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Die Ordnung des Infektiösen. Transformation bakteriologischen Wissens durch die Literatur der Moderne 1880-1930

Fachliche Zuordnung Germanistische Literatur- und Kulturwissenschaften (Neuere deutsche Literatur)
Förderung Förderung von 2011 bis 2014
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 197720253
 
Erstellungsjahr 2015

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Projekt untersuchte einen einzigartigen Wissensdiskurs des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts, der zum Kernbestand der Kultur- und Literaturgeschichte der Moderne zählt: unsichtbare Mikroben als faszinierende Spiegelwelt des Menschen. In der Alltagskultur, in Literatur und Philosophie verkörpern Bakterien erstens das Böse, das Schöne, das Fremde und das Heilige. Zweitens fungiert die populäre Vorstellung vom Heldenkampf zwischen Naturwissenschaftlern und Krankheitserregern als paradigmatische Erzählung einer Epoche des Imperialismus und des Gesellschaftszerfalls, des Fortschrittsglaubens und des Erkenntniszweifels. Es wird gezeigt, dass und wie aus der neuen wissenschaftlichen Leitdisziplin ‚Bakteriologie‘ eine Epochenmetapher und eine Epochenerzählung hervorgehen: Obwohl die Zeitgenossen die Fortschrittlichkeit und Objektivität des neuen Wissens feiern, liegt Letzteres schon im Moment seiner Herstellung partiell bildlich und erzählförmig vor; es ist in gewissen Grenzen unfest, mehrdeutig und stimuliert kritische Diskussionen, produktive Skepsis und immer neue Poetisierungen. In Massenmedien, populärwissenschaftlichen und literarischen Texten entfaltet sich dieses produktive Potential, wobei den Familien- und Kulturzeitschriften dabei eine ungeahnt breite Rolle als Kontaktzone zukommt. Sie bilden quasi den elementarliterarischen Zirkulationsraum, wo bakteriologische Metaphern und Erzählungen in Essayistik, Erzähl- und Dramentexte einwandern. Das Spektrum reicht vom völkischen Sozialroman des Naturalismus, der die Mikrobenjagd als hygienisches Ordnungsprogramm installiert über populärphilosophische Texte des Monismus und der Lebensphilosophie bis hin zur wissenschaftsskeptischen Erzählprosa des Fin de Siècle und zur expressionistischen, surrealistischen und dadaistischen Avantgarde. Es reicht von der Essayistik Bölsches und dem Künstlerroman Thomas Manns bis zu Nonsens-Lyrik, Gebrauchsgraphik und surrealistischen Malerei. Zusammengenommen ergibt sich ein vielgestaltiges Panorama der literarischen und kulturellen Moderne, das deren Widersprüche – zwischen Subjektglaube und Ich-Dissoziation, autoritärer Selbstermächtigung und dekompositiver Schreibweise, Wissenschaftsglaube und Erkenntnisskepsis, restaurativer und avantgardistischer Kunstkonzeption – im Brennpunkt einer zentralen Wissensformation sichtbar macht und bündelt. Am 21.2.2015 erschien im Zürcher Tagesanzeiger, einer Tageszeitung mit einer Auflage von einer halben Million, ein Artikel über das Projekt: http://www.tagesanzeiger.ch/wissen/natur/Feuchtfroehliche-BazillenLieder/story/13677340?track

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Fabulous Microbes. On Tuberculosis, Syphilis and Creativity Myths in Literature around 1900, Germanisch- Romanische Monatsschrift 62/1 (2012), S. 73-92
    Martina King
  • Staatsfeind und Schönheitsgöttin. Bakteriologisches Wissen in Wilhelm Bölsches populärdarwinistischen Schriften, in: Gerd Susen, Edith Wack (Hg.): "Was wir im Verstande ausjäten, kommt im Traume wieder." Wilhelm Bölsche 1861 - 1939, Würzburg: Königshausen & Neumann 2012, S. 287-319
    Martina King
  • Vom heiligen Schwips: medizinisches Wissen und kunstreligiöse Tradition in den Inspirationsszenarien von Zauberberg und Doktor Faustus, in: Thomas Sprecher (Hg.): Zwischen Himmel und Hölle. Thomas Mann und die Religion. Die Davoser Literaturtage 2010, Frankfurt/Main: Klostermann 2012, S. 53-85
    Martina King
  • Anarchist and Aphrodite. On the Literary History of Germs, in: Thomas Rütten, Martina King (eds.): Contagionism and Contagious Diseases. Medicine and Literature 1880-1933, Berlin: De Gruyter 2013, p. 101-129
    Martina King
 
 

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