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Akustische und artikulatorische Aspekte des Geschlechts im Deutschen

Fachliche Zuordnung Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft, Experimentelle Linguistik, Typologie, Außereuropäische Sprachen
Förderung Förderung von 2011 bis 2016
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 198356774
 
Erstellungsjahr 2015

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Diverse spektrale Parameter (Grundfrequenz, Formanten, Sibilantenspektren), temporale Eigenschaften (Vokaldauer, Wahrnehmung des Sprechtempos) und artikulatorische Aspekte (Gestenlänge, Undershoot, Sibilantenrealisierung) des Sprachsignals wurden im Projekt hinsichtlich geschlechtsspezifischer Unterschiede und deren mögliche Ursachen (soziologisch, biologisch oder perzeptuell) untersucht. Dazu wurde eine umfangreiche artikulatorische (4 weibliche und 5 männliche Sprecher) und akustische (6 weibliche und 5 männliche) Datenbank mit Äußerungen in drei Akzentbedingungen (Kontrolle, akzentuiert, unakzentuiert) erstellt. Zunächst konnte ein in der Literatur häufig diskutierter Zusammenhang zwischen mittlerer Grundfrequenz und akustischer Vokalraumgröße nicht bestätigt werden. Damit konnte gezeigt werden, dass der größere Vokalraum bei Frauen im Vergleich zu Männern nicht auf ihre durchschnittlich höhere Grundfrequenz zurückgeführt werden kann, sondern andere soziologische und/oder biologische Gründe haben muss. Ein weit verbreitetes, sprachübergreifendes Geschlechterklischee ist, dass Frauen schneller sprechen als Männer. Dies widerspricht den in vielen Studien gefundenen längeren Segmentdauern (und damit langsamerem Sprechtempo) bei Frauen als bei Männern. In unserer Studie konnten wir zeigen, dass der beim Sprechen durchwanderte akustische Vokalraum einen Einfluss auf das wahrgenommene Sprechtempo hat. Der durchschnittlich größere Vokalraum bei Frauen könnte demnach ein Grund für das anhaltende Stereotyp der schneller sprechenden Frau sein. Ein interessanter Aspekt hinsichtlich geschlechtsspezifischer Variabilität ist, dass Studien sowohl einen kleineren akustischen Vokalraum als auch einen größeren artikulatorischen Vokalraum bei Männern gefunden haben. Männer scheinen also um die gleichen phonetischen Ziele zu erreichen wie Frauen weitere artikulatorische Wege zurücklegen zu müssen. Darauf aufbauend wurde die Hypothese untersucht, ob Männer aufgrund ihres biologisch bedingten größeren artikulatorischen Raumes und der damit verbundenen weiteren artikulatorischen Wege ihre (artikulatorischen und akustischen) Ziele bei zeitlicher Begrenzung seltener erreichen als Frauen (d.h. Undershoot zeigen). Hierzu wurde der koartikulatorisch und akzentbedingte Grad an Undershoot bei Frauen und Männern untersucht und tatsächlich konnten geschlechtsspezifische Unterschiede im Grad des Undershoot gefunden werden: Während Männer in einer Kontrollbedingung weniger weite Wege zurücklegen als in der akzentuierten Bedingung, zeigten Frauen keinen Unterschied in ihren artikulatorischen Wegen. Außerdem fanden wir, dass es wichtig ist, den maximalen artikulatorischen Raum eines Sprechers mit zu betrachten: Der absolut zurückgelegte artikulatorische Weg kann in unterschiedlich großen artikulatorischen Räumen unterschiedliche akustische Produkte erzeugen. Zum einen zeigten Männer in einer zeitlich unbeeinflussten Bedingung trotz größerer artikulatorischer Vokalräume keine größeren akustischen Vokalräume. In einer anderen Bedingung wiesen Frauen trotz gleicher artikulatorischer Wege wie Männer ein größeres akustisches Output auf. Ein letzter Aspekt behandelte die Realisierung von Phonemkontrasten und der damit verbundenen Annahme, dass Frauen deutlicher sprechen als Männer. Dies wurde sowohl anhand der Realisierung des Quantitätskontrastes bei Vokalen (z.B. /a/ vs. /a:/), als auch hinsichtlich der Realisierung des Sibilantenkontrastes /s/-/ / untersucht. Bei den Vokalen zeigte sich eine Interaktion der Akzentbedingung mit der Kontrastrealisierung: der Unterschied zwischen akzentuiert und unakzentuiert war größer bei Männern als bei Frauen, was ebenfalls ein Zeichen eines höheren Grads an Undershoot bei Männern als bei Frauen ist. Anders gesagt, realisieren Frauen den Kontrast stärker als Männer, aber nur in der unakzentuierten Bedingung. Bei den Sibilanten zeigten die deutschen und englisch sprechenden Frauen (der frei zugänglichen Wisconsin Datenbank) einen größeren akustischen Kontrast als Männer unabhängig von der Akzentbedingung. Hier wurde zusätzlich der mögliche Einfluss eines anatomischen Faktors (des alveo-palatalen Anstiegs) auf die Sibilantproduktion untersucht.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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