Regionalismus und Interaktion: Keramische Traditionen als Indikator soziopolitischer und wirtschaftlicher Transformation im frühislamischen Syrien und Irak
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Forschungsprojekt nutzt das Potential von Keramik aus archäologischen Kontexten, um Veränderungen des Beziehungsgefüges zwischen den Großregionen Südsyrien, Nordsyrien und Irak zwischen dem 7. und 9. Jahrhundert zu untersuchen. Die Identifizierung regionaler keramischer Traditionen und deren Transformation dienten als Indikator für wirtschaftliche und soziopolitische Veränderungen. Basierend auf der vergleichenden formen- und dekortypologischen sowie der petrochemischen Analysen der Keramik aus Resafa wurde für das 8. Jahrhundert und den nordsyrischen Raum ein morphologisches und technologisches Repertoire identifiziert, das klare Unterschiede zeigt zum zeitgleichen und früheren keramischen Spektrum des südlichen bilād aš-šām. Klare Bezüge lassen sich zum nordmesopotamischen Raum nachweisen. Dieser Befund bildet nicht nur Vertriebsmuster, sondern auch Technologietransfer ab. Die Einführung neuer Technologien, die im 9. Jahrhundert für den gesamten syrischen und irakischen Raum klar belegt ist beginnt also bereits im zweiten Viertel des 8. Jahrhunderts. Innerhalb Nordsyriens wurden graduelle Unterschiede des keramischen Spektrums zwischen dem nordwestsyrischen und dem nordostsyrischen Raum nachgewiesen. Die Bildung von keramischen Subregionen spiegelt sich auch im Münzbefund. Die Produktion der Gebrauchskeramik erfolgte überwiegend regional in kleineren, unabhängig voneinander arbeitenden Werkstätten. Besondere Funktionswaren wurden in standardisierter Form von spezialisierten Werkstätten produziert. Dies sind dieselben Gruppen, deren Formen eine morphologische und technologische Kontinuität zu dem Material zeigen, das in Kontexten des 6. und 7. Jahrhunderts auftritt. Importe erreichten Nordostsyrien sowohl aus dem südlichen bilād aš-šām als auch aus dem mesopotamischen Raum. Die Auswertung der Verteilungsmuster belegt, dass dem Euphrat als Verbindungsachse eine wesentliche Bedeutung zukam. Für das 8. Jahrhundert zeichnet sich somit hinsichtlich Produktions- und Vertriebsmustern eine klare Kontinuität zu der Situation im 7. Jahrhundert ab, die ebenfalls von kleinteiliger regionaler Produktion in euphratnahen Werkstätten und der Bedeutung des Euphrat als Verkehrsachse geprägt ist. Veränderungen bilden sich in der zunehmenden Bedeutung der Interaktion mit dem nordmesopotamischen Raum ab sowie in dem Fehlen von Feinkeramik. Im zweiten Abschnitt wurden Schriftquellen und die aktuelle Forschungsliteratur ausgewertet. Während für das 6. und 7. Jahrhundert für den gesamtsyrischen Raum generell von einer Regionalisierung des Handels und einer Konzentration der lokalen Produktion auf Selbstversorgung ausgegangen wird, konnte anhand der keramischen Evidenz belegt werden, dass im nordsyrischen Raum im 8. Jahrhundert der intraregionale Austausch an Bedeutung gewinnt. Dies wurde anhand der Quellenauswertung in einen weiteren Kontext gestellt. Als Voraussetzung für diese Entwicklung ist die dauerhafte Integration des Irak und der Ǧazīra unter syrische Kontrolle unter den Marwaniden zu sehen. Anhand der zusammengetragenen Datenbasis konnte gezeigt werden, dass die umaiyadischen Eliten in der Folge in Infrastruktur (Mühlen, Kanäle, Brücken, Befestigungsanlagen), Bewässerungsfeldbau und Handel investieren. Die wachsende Bedeutung des Handels kommt in der Organisation der Stadtgrundrisse zum Ausdruck, die durch die Zunahme von innerstädtischen Werkstätten und Ladenstraßen geprägt wird. Anhand der Quellen lässt sich nachweisen, dass sich spätestens im zweiten Viertel des 8. Jahrhunderts die Praxis etabliert hatte, dass die umaiyadischen Eliten die Errichtung von Marktbauten finanzierten, und die Transaktionen besteuert wurden. Der Handel selbst war größtenteils privatwirtschaftlich organisiert. Reichweite und Zusammensetzung des Warenverkehrs konnten ansatzweise rekonstruiert werden. Im zweite Teil der Kontextanalyse werden die Hintergründe des Transformationsprozesses untersucht, der sich bereits im zweiten Viertel des 8. Jahrhunderts - nicht wie allgemein angenommen ab dem frühen 9. Jahrhundert - in Veränderungen des keramischen Repertoires und der Einführung neuer Technologien abbildet. Im kritischen Abgleich mit den Thesen zu Transformationsprozessen in der Keramikproduktion und -verwendung im 9. Jahrhundert werden mehrere Erklärungsmodelle diskutiert. Im dritten Abschnitt wird die Untersuchung um einen theoretischen Teil erweitert, der das konzeptuelle Fundament des hier untersuchten Themenkomplexes präzisiert und reflektiert. Bezugsrahmen ist die kritische Auseinandersetzung mit Kategorien räumlichen Denkens, der Konstruktion von Raum und einem erweiterten Raumverständnis, wie sie von Vertretern des „spatial turn“ weiterentwickelt wurden. In einer kritischen Bestandsaufnahme und systematischen Analyse der Forschungsliteratur wird gezeigt, dass in der Islamischen Kunstgeschichte und Archäologie unterschiedliche Modelle zur Anwendung kommen, die Raum als Ordnungskategorie einsetzen. Die theoretische und begriffliche Präzisierung der Begriffe „Region“ und Regionalismus“ wird diskutiert und aufgezeigt, dass der „umaiyadische Regionalismus“ als wirtschaftliches Phänomen untersucht, Regionen werden in erster Linie als Wirtschaftsräume im Sinne von Standorten, Lagerelationen und Distanzen interpretiert.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Zwischen Fakt und Fiktion: eine Revision der arabischen Schriftquellen zu Rusafat Hisham, in: D. Sack e.a. [Hrg.], Jahrbuch MSD 2010-12, Berlin 2012, 29
M. Müller-Wiener
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Der Blick nach Osten: Das keramische Spektrum von Resafa im regionalen Kontext, in: D. Sack u.a. [Hrg.], Jahrbuch MSD 2012-14, Berlin 2014, 55
M. Müller-Wiener