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Abschied vom Konsens? Die Formierung der grünen Bewegung in der Bundesrepublik der siebziger Jahre: Politisches Denken und soziale Praxis

Subject Area Modern and Contemporary History
Term from 2005 to 2011
Project identifier Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 20026768
 
Final Report Year 2010

Final Report Abstract

In der grünen Bewegung, die sich in der Bundesrepublik der 1970er Jahre formierte und 1980 in die Partei DIE GRÜNEN mündete, fand eine bemerkenswerte Vielfalt an Personen, Projekten und Programmen zusammen, die sich mittels gewohnter politischer Formeln weder beschreiben noch eindeutig im politischen Koordinatensystem verorten ließen. Das Spektrum der Gründungsgrünen reichte von konservativen Naturschützern über verschiedene Anhänger eines „Dritten Weges“ bis hin zu unterschiedlichen Gruppen der undogmatischen Linken und Teilen kommunistischer Kadergruppen. Die verschiedenen Strömungen fanden unter dem Dach gemeinsamer Themen und Ziele sowie ähnlicher Denk- und Handlungsmuster zusammen, ohne jedoch ihre jeweiligen Prägungen und Standpunkte gänzlich ad acta zu legen. Der Formierungsprozess der Grünen war deshalb von einer Reihe strategischer und pragmatischer Überlegungen beeinflusst, von denen das wichtigste Gelegenheitsfenster die ersten Direktwahlen zum Europäischen Parlament im Jahr 1979 darstellten. Ungleich wichtiger waren jedoch weitere Integrationsfaktoren, die von gemeinsamen Ordnungsvorstellungen über ähnliche Gegenwartswahrnehmungen bis hin zu gemeinsamen Topoi, Begriffen und Argumentationsmustern sowie Elementen einer gemeinsamen politischen Praxis reichten. Die Entstehung der grünen Bewegung war eng mit jenen Konstellationen und Spezifika verknüpft, welche die 1970er Jahre kennzeichneten. Dazu gehörte ein verändertes Verhältnis zu „Staat“ und „Staatlichkeit“ und dessen planerischem Zugriff auf Gesellschaft ebenso wie ein gewandeltes Verständnis von „Wachstum“ als zentralem Wert im Selbstverständnis westlicher Industriegesellschaften, zumal der Bundesrepublik. Die Gründungsgrünen machten „Wachstum“ als Hauptursache für die drängende Ökologieproblematik aus. Eng mit der Kritik am Wachstumsprinzip verknüpft waren die grünen Debatten über eine notwendige Neu- beziehungsweise Re-Definition von „Fortschritt“. Der Mehrzahl geriet ein Fortschrittsverständnis zur Zielscheibe, das in ihren Augen vor allem in den „langen sechziger Jahren“ nahezu ausschließlich auf technische und materielle Aspekte reduziert worden war. Allen voran spiegelten die Gründungsgrünen überaus deutlich die tiefe Verunsicherung wider, die Politik und Gesellschaft der 1970er Jahre auf vielen Feldern prägte. Neben zahlreichen anderen Parametern und Haltepunkten sahen sie vor allem die klassischen ideologischen Zuschreibungen von „rechts“ und „links“ einer zunehmenden Entwertung, zumindest jedoch einer Umwertung unterworfen. Erst diese Veränderungsprozesse, die sich mit den Schlagworten „Krise der Linken“ und „Gestaltwandel des Konservatismus“ beschreiben lassen und die nahezu alle Gründungsnetzwerke in der einen oder anderen Weise betrafen, machten den breiten ideologischen Zusammenschluss für einen kurzen Zeitraum überhaupt erst möglich. Der weitere Weg der Grünen über ihre Gründungsphase hinaus unterstreicht jedoch ebenfalls, dass die ursprünglich so weit gefasste Integration unter dem Schlagwort „nicht rechts, nicht links, sondern vorn“ dort ihre Grenzen fand, wo positiv konnotierte Vorstellungen und präzise gefüllte Konzepte gefragt waren. Die Gründungsgrünen waren mithin eine charakteristische Formation der 1970er und frühen 1980er Jahre, die in dieser Form nicht von Dauer war. Im Laufe ihrer inzwischen fast dreißigjährigen Geschichte veränderte sich die Partei stattdessen häufig und teilweise wesentlich und wurde darüber zu einem Element der Bonner und später der Berliner Republik. Die Betrachtung ihrer Formierungsgeschichte führte in den Kern einiger Debatten, die ihren Ausgangspunkt in den 1970er Jahren nahmen, aber auch noch dreißig Jahre später bundesdeutsche Befindlichkeiten prägen. Auch aus der Perspektive einer Geschichte der Gründungsgrünen erscheinen die 1970er Jahre deshalb als ein Jahrzehnt des Wandels, der allerdings als noch nicht abgeschlossen gelten kann.

Publications

  • Die Formierung der Gründungsgrünen in der Bundesrepublik der siebziger und frühen achtziger Jahre, in: la clé des langues
    Silke Mende
  • Die Alternative zu den herkömmlichen Parteien. Parlamentarismuskritik und Demokratiekonzepte der Gründungsgrünen in den siebziger und frühen achtziger Jahren, in: Thomas Bedorf/Felix Heidenreich/Marcus Obrecht (Hrsg.): Die Zukunft der Demokratie. L'avenir de la démocratie (Kultur und Technik, Bd. 12), Berlin 2009, S. 28–50
    Silke Mende
  • Residuen des Ordnungsdenkens in den 1970er Jahren? Kontinuitäten, Umbrüche, veränderte Bezugsgrößen. Die Fallbeispiele grüne Bewegung und Flughafenausbau Frankfurt, in: Thomas Etzemüller (Hrsg.): Die Ordnung der Moderne. Social Engineering im 20. Jahrhundert, Bielefeld 2009, S. 331– 355
    Silke Mende, Sabine Dworog
  • „Nicht rechts, nicht links, sondern vorn“. Eine Geschichte der „Gründungsgrünen“, Phil. Diss. Tübingen 2009, 524 S. [(Ordnungssysteme, Bd. 33), München: Oldenbourg, 2010.]
    Silke Mende
 
 

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