Sozinianische Netzwerke und ihr Einfluss auf die europäische Frühaufklärung
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Der Hauptbeitrag des Sozinianismus für den europäischen Diskurs des 17. Jahrhunderts besteht in einer neuartig modellierten Religionsauffassung, die das aufklärerische Religions- und Theologieverständnis antizipiert. Im Unterschied zu den etablierten Konfessionen, die Religion im Sinne des gott-gesetzten Seinszusammenhangs verstanden, entwickelte der Sozinianismus ein Modell, das religiöse Wahrheiten als einen geschichtlich gewachsenen, auf die ethische Haltung des Individuums abzielenden Sinnzusammenhang handhabte. Impulsgebend für dieses Modell war der historisierend-rationalisierende Denkansatz Fausto Sozzinis, der sich im Zeitraum von 1563 bis 1601 auf den Feldern der Christologie resp. Soteriologie, Anthropologie, Bibelhermeneutik und Eschatologie materialisierte. Sozzini leitete die Bedeutung der Person Christi von seiner historisch einzigartigen ethischen Botschaft ab, deren individuelle Befolgung durch den von der Erbsünde nicht beeinträchtigten, qua Natur sterblichen Menschen zum Kern religiöser Sinnfindung avancierte; damit einher gingen die Gleichsetzung der Autorität der Bibel mit ihrer historischen Authentizität und die Auflösung der Vorstellung von den ewigen Strafen als eines für die moralische Weltordnung notwendigen Regulativs. Persönliche Vernetzung bildete bis zum beginnenden 17. Jahrhundert die Grundvoraussetzung für die Verbreitung und Rezeption des bis dahin oft nur in handschriftlicher Fassung zirkulierenden Gedankenguts Sozzinis, das zuerst zur Entstehung der unitarischen Kirchen in Siebenbürgen und in Polen-Litauen und dann zur Ausgestaltung des polnisch-litauischen Unitarismus zum Sozinianismus führte. Um die Jahrhundertwende waren die polnischen Vertreter des sich herausbildenden Sozinianismus Petrus Statorius d. J. und Andreas Wojdowski die Hauptakteure bei der Institutionalisierung des impulsgebenden Gedankenguts Sozzinis und der Knüpfung der es von Polen-Litauen über das Alte Reich bis in die Vereinigten Provinzen transportierenden Netzwerke. Der polnische Multiplikator Hieronymus Moskorzowski, die ersten deutschen Sozinianer Christoph Ostorodt, Johannes Völkel, Valentin Schmalz und der Schlesier Thomas Pisecki trugen maßgeblich dazu bei, dass die materiellen Bauteile des sozinianischen Denkens zu einem historisch-ethischen Religionsmodell systematisch verbunden wurden, das von der geschichtlichen Vervollkommnung der religiös-sittlichen Normen und ihrer Erkenntnis ausging, die Vernunft dem Glauben vorordnete und bis in die Vorlesungssäle der evangelischen Universitäten in Mittel- und Westeuropa vordrang. Die in Europa im ausgehenden 16. Jahrhundert und in den ersten drei Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts einsetzende intensive akademische Debatte über die einzelnen Elemente des historisch-ethischen Relgionsmodells wie auch über seine systematische Ganzheit etablierte es dauerhaft im Diskurs der europäischen Evangelischen. Bei den meisten reformierten und lutherischen Theologen bewirkte die Debatte einen hermeneutischen Schwenk zur metaphysischen Grundierung der Theologie, mit der man die vertikal-unveränderliche Struktur der Glaubenswahrheiten gegen den auf die horizontale Ebene des geschichtlich Erfahrbaren fixierten rationalisierenden Denkansatzes der Sozinianer ab-zusichern suchte (Girolamo Zanchi, Franciscus Junius, Johann Gerhard) und die sich oft mit einem expliziten Rückgriff auf Thomas von Aquino verband (David Pareus, Albert Grauer). Die wenigen Evangelischen, die sich, wie etwa Konrad Vorstius und Simon Episcopius, dem historisch-ethischen Religionsmodell öffentlich öffneten, wurden häretisiert. Gleichwohl waren sie diejenigen, die, indem sie das historisch-ethische Religionsmodell von der expliziten Kritik an den traditionellen Dogmen bereinigten, ihm die Gestalt verliehen, in der es bis in die Neologie hinein (Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem) wirksam blieb.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Die Anfänge des Sozinianismus. Genese und Eindringen des historisch-ethischen Religionsmodells in den universitären Diskurs der europäischen Evangelischen. Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Band 240. 2016, 636 S., ISBN 978-3-525-10142-1.
Daugirdas, Kęstutis