SFB 1047: Timing bei Insekten: Mechanismen, Plastizität und Fitnesskonsequenzen
Medizin
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Optimales Timing ist wichtig für alle Lebewesen. Das Ziel dieses SFBs war es, die molekularen, neuronalen und ökologischen Timing-Mechanismen bei Insekten aufzuklären und die Vorteile eines optimalen Timings auf verschiedenen Ebenen zu verstehen. Um dieses Ziel zu erreichen, haben wir verschiedene biologische Disziplinen kombiniert und Timing bei solitär lebenden Insekten, sozialen Insekten sowie Populationen von interagierenden Arten untersucht. Wie im Folgenden dargelegt, konnten wir auf allen Ebenen zeigen, dass innere Uhren zusammen mit plastischen Antworten der Organismen auf die jeweiligen Umweltbedingungen essentiell für adäquates Timing sind. Die molekularen und neuronalen Mechanismen des täglichen Timings sind bei der Taufliege Drosophila melanogaster am besten verstanden. Wir haben die Taufliege genutzt, um die bisherigen Erkenntnisse zu erweitern und die ersten Schritte in Richtung Verständnis der Fitness-Konsequenzen von schlechtem Timing zu machen. Auf molekularer Ebene konnten wir neue Kinasen identifizieren, die die Geschwindigkeit der circadianen Uhr bestimmen. Ebenso identifizierten wir Neuropeptide, die zwischen den Neuronen des neuronalen Uhrnetzwerkes kommunizieren sowie solche, die Ausgangssignale des Uhrnetzwerkes darstellen und das tägliche Schlafwachmuster kontrollieren oder wichtige Schritte in der Entwicklung wie das Schlüpfen aus der Puppe zeitlich festlegen. Auf metabolischer Ebene identifizierten wir Metabolite, deren Menge circadian oszilliert und die für die Langlebigkeit und reproduktive Fitness der Tiere wichtig sind. Wir konnten zeigen, dass der Besitz einer inneren Uhr nicht nur essentiell ist, um das Schlüpfen der Tiere in der freien Natur zu timen, sondern auch um auf nährstoffarmem Futter zu überleben. Arrhythmische Uhrmutanten zeigten einen gestörten Kohlehydrat- und Energiemetabolismus sowie eine kürzere Lebensdauer auf lediglich Zucker-enthaltendem Futter. Einer Konkurrenz zu wildtypischen Fliegen über mehr als 60 Generationen hielten weder arrhythmische Uhrmutanten stand, noch Uhrmutanten mit sehr schneller oder langsamer circadianer Uhr. Wir konnten auch zeigen, dass eine funktionierende Uhr wichtig für die Fliegen ist, um ein Tageszeit-abhängiges Gedächtnis zu bilden. Diese Erkenntnis ist der erste wichtige Schritt, um in Zukunft die neuronalen Mechanismen des Zeitgedächtnisses, für das Bienen berühmt sind, bei der Taufliege mit Hilfe von neurogenetischen Methoden aufzuklären. Auf Verhaltensebene charakterisierten wir die Rolle von Rhodopsinen für die Synchronisation der inneren Uhr auf den 24-Stunden Tag. Wir identifizierten ein neues Rhodopsin (Rh7), das eine Rolle bei der Feinjustierung des Aktivitätsmusters spielt. Die Rhodopsine Rh1 und Rh6 der Komplexaugen waren wichtig für die Wahrnehmung von Dämmerung und Mondlicht sowie zur Messung der Tageslichtintensität. Rh6 in den Hofbauer-Buchner Äuglein erwies sich als Starklicht-Rezeptor, der für die Ausprägung der Siesta essentiell ist. Insgesamt waren die Komplexaugen extrem wichtig für das normale Aktivitätsmuster der Fliegen unter naturnahen Lichtbedingungen. Sogar Fliegenmutanten ohne innere Uhr zeigten unter solchen Bedingungen ein fast normales Aktivitätsmuster, wenn die Komplexaugen funktionierten. Erstaunlicherweise war dies bei der Schlüpf-rhythmik nicht der Fall. Hier war die Temperatur wichtiger als Licht, und natürliche Zeitgeberzyklen reichten nicht aus, um das Fehlen der inneren Uhr vollständig zu kompensieren, was die Bedeutung der Inneren Uhr für ein adäquates Timing unterstreicht. Die Hymenopteren umfassen solitär und sozial lebende Arten, die sich durch ein Zeitgedächtnis auszeichnen und weitere hochentwickelte zeitlich gesteuerte Verhaltensweisen zeigen wie Schlupf, Paarung, Brutpflege, Nahrungserwerb und Orientierung in Raum und Zeit. Um Einsicht in die Timing-Mechanismen bei dieser interessanten Gruppe zu bekommen, haben wir zunächst die molekulare und neuronale Funktionsweise der circadianen Uhr im Gehirn von solitären (Gattung Osmia) und sozialen Bienen und Ameisen (Apis mellifera, Camponotus floridanus) untersucht. Wir fanden, dass anders als bei Drosophila, diese Insekten eine säugerähnliche molekulare Uhr besitzen. Das neuronale Uhrnetzwerk war im Prinzip ähnlich wie bei der Taufliege, jedoch deutlich komplexer. Bei den untersuchten Bienen und Ameisen, innervierten die den "Pigment-Dispersing Factor (PDF)" exprimierenden Uhrneuronen die Teile des Gehirns, die die verschiedenen rhythmischen Verhaltensweisen steuern, inklusive derer, die bei Honigbienen für die Sonnenkompassorientierung verantwortlich sind. Interessanterweise, hatten die Oszillationen des Uhrproteins PERIOD (PER) bei tag- und nachtaktiven Hymenopteren die gleiche Phase, was an Säugetiere erinnert und zeigt, dass die Aktivitätsphase "downstream" der Uhr im Gehirn bestimmt wird. Eine solche Regulation ermöglicht eine große Plastizität im Verhaltens-Timing. Tatsächlich fanden wir, dass soziale Interaktionen mit Brut und Sammlerinnen die Verhaltensrhythmen von Camponotus Ameisen stark modulierten. Zusätzlich passten Sammlerinnen ihre Nahrungssuche zeitlich an die Verfügbarkeit von Nahrung an, was unter anderem zeigt, dass sie ein Zeitgedächtnis besitzen. Im Gegensatz zu Honigbienen setzen Camponotus Ameisen ihre Brut rhythmisch höheren und tieferen Temperaturen aus. Wir konnten erstmals zeigen, dass dies essentiell für eine normale Entwicklung ist. Ameisen, die künstlich bei konstanten Temperaturen aufgezogen wurden, zeigten Defizite in der Pilzkörperstruktur. Die Pilzkörper sind wichtig für die olfaktorische Kommunikation und fürs Lernen. Hochsoziale Bienen und Ameisen haben eine alters- und erfahrungsabhängige Arbeitsteilung, in der individuelle Tiere von Ammen zu Sammlerinnen werden. Das optimale Timing dieses Verhaltensübergangs ist essentiell für das Aufrechterhalten der Kolonie. Wir identifizierten mehrere Komponenten, die sich im Gehirn parallel zu diesem Verhaltensübergang veränderten. Unter diesen waren Änderungen in Neuropeptiden, in der Opsinexpression und in der Größe der Pilzkörper. Diese Änderungen waren teilweise altersabhängig und teilweise erfahrungsabhängig, was bestätigt, dass Alter und Erfahrung zum optimalen Timing des Verhaltensübergangs beitragen. Bei Cataglyphis Wüstenameisen, die ihre langen Ausflüge zur Nahrungssuche bei lebensgefährlich hohen Außentemperaturen machen müssen, ist es von essentieller Wichtigkeit, dass sie nach erfolgreicher Nahrungssuche den direktesten Weg zurück zum Nest nehmen. Dabei orientieren sie sich per Sonnenkompass und Landmarken. Allerdings müssen diese Navigationshilfen erst kalibriert werden. Naive Ameisen führen mehrere Tage vor der ersten Nahrungssuche stereotype Lernläufe nahe am Nesteingang aus, bei denen sie immer wieder zum Nesteingang zurückblicken. Nur Lernläufe unter normalem UV und Polarisationsmuster induzieren synaptische Plastizität in den Eingängen von Pilzkörper und Zentralkomplex. Wir konnten erstmals zeigen, dass die Ameisen zur initialen Kalibrierung ihrer Navigationssysteme das Erdmagnetfeld als direktionales Referenzsystem nutzen. Optimale saisonale Timing Strategien sind auf der Ebene von ökologischen Gemeinschaften, die von Interaktionen verschiedener Arten abhängen, von besonderer Bedeutung. Wir haben die Auswirkungen von Tageslänge und Jahreszeit auf die Fitness von Blattläusen, ihren Räubern und den Pflanzen-Pilz Symbionten, auf denen sie leben, untersucht. Dabei fanden wir, dass ein durch globale Erwärmung hervorgerufenes früheres Aufkommen der Blattläuse zu einer Desynchronisation der Interaktion zwischen den beteiligten Arten führt und einen Fitnessverlust bei allen Partnern bedingt. Solitäre Bienen schlüpfen im Frühjahr aus ihren Kokons, und dieses jährliche Schlüpfen muss gleichzeitig mit dem Blühen ihrer Wirtspflanzen erfolgen, damit sie genug Pollen für ihren Nachwuchs sammeln können. Wir fanden, dass bereits drei Tage verfrühtes oder verspätetes Schlüpfen die Fitness der Bienen reduziert (gemessen an ihrem Fortpflanzungserfolg). Auf den Beobachtungen basierende mathematische Simulationen bestätigten die Bedeutung der Außentemperatur und der endogenen Jahresuhr für den Schlupfzeitpunkt. Saisonales Timing ist ähnlich bedeutsam für Gemeinschaften sozialer Insekten. Ihr Jahresrhythmus ist charakterisiert durch folgende Phasen: Koloniegründung oder Beginn der Brutaktivität im Frühling, Koloniewachstum durch Vermehrung der Arbeiterinnen und sexuelle Reproduktion im Sommer. Das Wählen des richtigen Zeitpunkts zum Übergang in die nächste Phase bestimmt die Fitness des Systems. Wir fanden, dass ein verzögerter Brutbeginn in Honigbienenvölkern relativ zur lokalen Blüte den Sammelerfolg und die Kolonieentwicklung beeinträchtigt. Ein zu frühes Koloniewachstum begünstigte andererseits das Wachstum der parasitischen Milbe "Varroa destructor" im Spätsommer, was sich ebenfalls negativ auf die Koloniegröße auswirkte. Dies zeigt, dass die gegenseitige zeitliche Abstimmung enorm wichtig für komplexe multi-trophische Systeme ist und zeigt, dass der Klimawandel komplexe und bisher nur unvollständig verstandene Auswirkungen auf die Phänologie und Fitness interagierender Arten haben wird. Mathematische Modelle zeigten, dass soziale Insekten sich in erster Linie an der Tageslänge als zuverlässigem und robustem Trigger für diese Verhaltensübergänge orientieren, während in Klimakammerexperimenten die Temperatur der wichtigste Faktor für die zeitliche Steuerung des Brutbeginns überwinternder Honigbienen war. Freilandexperimente zum Sammelverhalten von Honigbienen zeigen erstmals das Honigbienen zum Intervall-Time-Place-Learning fähig sind, um komplexe und zeitlich variable Blütenressourcen ausbeuten zu können. Die Ausschaltung der Zeitgedächtnis-basierten Tanzkommunikation in Honigbienenvölkern führte zu einem verminderten Polleneintrag in Landschaften mit unterschiedlicher Ressourcenkomplexität. Um die Evolution innerer Uhren und ihre Anpassung an verschiedene Breitengrade besser zu verstehen, haben wir das neuronale Netzwerk der inneren Uhr im Gehirn von Fliegenarten, die von äquatorialen tropischen Fliegenarten mit dem von nördlichen Arten verglichen, die aus Finnland stammen. Unter anderem fanden wir, dass die nördlichen Fliegen kein PDF in der Gruppe von Uhrneuronen exprimierten, die wichtig für ein robustes rhythmisches Verhalten unter Dauerdunkelbedingungen sind. Deswegen verschwand die Rhythmik der finnischen Fliegen unter diesen Bedingungen schnell, während die tropischen Fliegen rhythmisch blieben. Wir fanden, dass solche schwachen Uhren den Tieren helfen, ihre Aktivität an die langen Sommertage des hohen Nordens anzupassen. Weiterhin erleichtert das fehlende PDF- Signal zu den Insulin-produzierenden Neuronen (die die Tiere metabolisch aktiv halten) den Übergang in den "Winterschlaf" im Herbst. Interessanterweise fehlte auch den stark photoperiodischen Blattläusen PDF, und auch sie hatten eine schwache, stark gedämpfte innere Uhr. Damit haben wir mögliche wichtige Umweltanpassungen der inneren Uhr identifiziert, die während der Radiation der Fliegen von Afrika in höhere Breitengrade entstanden sein könnte.
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