Begriffe der Moderne. Begriffsgeschichte als methodische Innovation und Selbstreflexion der Geisteswissenschaften 1920 - 1970
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Den Mittelpunkt des Projekts bildet die Herausbildung und Etablierung einer neuen Strömung innerhalb der Geschichtswissenschaft, welche um 1900 einsetzte und in den 1970er Jahren einen ersten Höhepunkt erreichte. Die zentrale Errungenschaft der Historischen Semantik ist es, gesellschaftliche und sprachlich-semantische Ordnungen zusammen zu denken und in ein systematisches Verhältnis zueinander zu bringen. Das Ziel des Projektes besteht darin, genau diese Einsicht auf die Historische Semantik selbst anzuwenden und nach dem Zusammenhang von methodisch-theoretischen Grundannahmen, weltanschaulichen Überzeugungen und dem politisch-sozialen Kontext zu fragen. Denn in der Geschichte der Historischen Semantik spiegelt sich offenbar sehr klar die Entwicklung vom Denken in Kategorien des „Volkes“ und der „Nation“ bis hin zu der entmystifizierenden Frage nach den zeitbedingten Konjunkturen des geschichtlichen Bewusstseins und der Reflexion der eigenen Geschichtlichkeit wider. Die Untersuchung will damit einen Beitrag leisten zu einer Wissenschaftsgeschichte der Geschichtsschreibung, die, indem sie nach den vielgestaltigem Wechselverhältnis von Gesellschaftsgeschichte, temporalen Ordnungsmodellen und Weltdeutungen in historischen Narrativen fragt, zugleich auch einen Zugang zur intellectual history eines „Zeitalter[s] der Extreme“ bieten will. Der Terminus „Historische Semantik“ bezeichnet dabei keine homogene Disziplin. Es handelt sich vielmehr um eine Sammelbezeichnung für unterschiedliche, meist auch fächerübergreifende heuristische Vorgehensweisen, die unter anderem aus der Philosophie, der Linguistik, der Soziologie und der Geschichtswissenschaft hervorgegangen sind und insbesondere im deutschsprachigen Raum Verbreitung in Form der „Begriffsgeschichte“ gefunden haben. Als zentrales Verbindungsglied dieser unterschiedlichen semantischen Ansätze innerhalb der Geschichtswissenschaften hat sich die Person und das Werk des deutsch-jüdischen Historikers Richard Koebner (1885-1958) erwiesen, der, von Wilhelm Bauers „Schlagwortforschung“ inspiriert, eine Art kulturgeschichtliches Konkurrenzmodell zu der in den 1930er Jahren sich durchsetzenden „Volksgeschichte“ entwickelte. Aufgrund seiner Emigration im Jahre 1934 nach Jerusalem blieb Koebners Einfluss jedoch vor allem auf den hebräischen und englischen Sprachraum begrenzt, fand aber doch – gleichsam in Form eines Reimports seiner englischen Schriften – auch in der Vorbereitung des Lexikonprojektes Geschichtliche Grundbegriffe anerkennende Verwendung. Während die Auseinandersetzung mit dem „Historismus-Problem“ einen problemgeschichtlichen Vergleich auf geschichtstheoretischer Ebene im Projekt ermöglicht, dient die Orientierung an dem transnationalen Akteur Richard Koebner dem exemplarischen Nachvollzug der konkreten Verflechtungs- und Entstehungszusammenhänge der Historischen Semantik auf der Handlungsebene.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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»Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit«. Richard Koebners und Reinhart Kosellecks Historische Semantikforschungen zwischen Historismus und Posthistoire, in: Forum Interdisziplinäre Begriffsgeschichte 5,2 (2016)
Peter Tietze
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»Zeitwende«: Richard Koebner und die Historische Semantik der Moderne, in: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts 13 (2014),S. 131-165
Peter Tietze