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Menschen mit Behinderung in Deutschland nach 1945. Selbstbestimmung und Partizipation im deutsch-deutschen Vergleich: Ein Beitrag zur Disability History

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2012 bis 2018
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 210109247
 
Erstellungsjahr 2018

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Sachbeihilfeprojekt konnte die gesteckten Ziele umfassend erfüllen. Die bisher erschienenen Studien stellen einen gewichtigen Beitrag zur deutschsprachigen Grundlagenforschung zur Geschichte behinderter Menschen dar. Detailliert konnten Binnendifferenzierungen und -hierarchisierungen zwischen verschiedenen Gruppen behinderter Menschen in mehreren gesellschaftlichen Teilbereichen offengelegt werden. Dabei stellte sich insbesondere die lange anhaltende Hegemonie kriegsversehrter Männer in selbstorganisierten Vereinen und Verbänden als massives Hindernis einer gleichberechtigten Teilhabe und Integration aller Gruppen von Menschen mit Behinderungen heraus. Das Ausmaß der selbstbestimmten Lebensweltgestaltung und mithin der gesellschaftlichen Partizipation hing in hohem Maße von der Ursache und der Art der Beeinträchtigung ab. Entsprechend konnten mehrere zu Projektbeginn formulierte Annahmen bestätigt werden. Von Beginn an nahm das Projekt die Wechselbeziehungen zwischen staatlichem Handeln, verbreiteten Vorurteilshaushalten und der Gestaltungsmacht behinderter Menschen in den Blick. Es konnte herausgearbeitet werden, dass gesamtgesellschaftliche Liberalisierungsprozesse eng mit dem Wandel der Wahrnehmung von Behinderung zusammenhingen. Allerdings vollzog sich die Ausweitung der Gestaltungsmacht behinderter Menschen im Vergleich zu nichtbehinderten Menschen mit einer gewissen Verzögerung. Diese längerfristigen Transformationen konnten zudem nur durch eine Analyse der gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und politischen Aufmerksamkeitsökonomien (Bsp. Conterganskandal) und der angesprochenen Binnendifferenzierungen zwischen verschiedenen Gruppen behinderter Menschen erklärt werden. Ohne dabei in ein teleologisches Fortschrittsnarrativ zu verfallen, muss in diesem Zusammenhang nicht nur auf den teils nur schleppenden Abbau von Vorurteilen und Barrieren gegenüber allen Menschen mit Behinderung verwiesen werden. Ebenso traten bestimmte Gruppen behinderter Menschen selbst – namentlich die Kriegsversehrten – als erstaunlich hartnäckiger, retardierender Faktor der gleichberechtigten Partizipation aller behinderten Menschen in Erscheinung. Die hohe Gegenwartsrelevanz der im Sachbeihilfeprojekt versammelten Forschungsarbeiten zeigte sich nicht nur im Rahmen zahlreicher Tagungsvorträge und Lehrveranstaltungen, sondern auch anhand der öffentlichen Aufmerksamkeit für die Befunde der Einzelstudien. So erschienen Presseberichte in den Kieler Nachrichten und der tageszeitung. Radiointerviews wurden mit dem deutschlandfunk und dem Norddeutschen Rundfunk geführt. Darüber hinaus erhielt der Bearbeiter von Teilprojekt 2 für seine Studie über den westdeutschen Behindertensport den Deutschen Studienpreis der Körber-Stiftung in der Sektion Geistes- und Sozialwissenschaften. Durch die Einrichtung einer Datenbank, einer digitalen Quellenedition und die erfolgreiche Beantragung eines thematisch verwandten Sachbeihilfeprojekts zur Geschichte ‚Behinderter Familien‘ bewies sich zudem die Anschlussfähigkeit der erarbeiteten Ergebnisse für die weitere Forschung im Bereich der Disability History.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Die 1970er Jahre als Umbruchsphase der bundesdeutschen disability history? Eine Mikrostudie zu Selbstadvokation und Anstaltskritik Jugendlicher mit Behinderung, in: Moving the Social 49 (2013), S. 25-52
    Gabriele Lingelbach / Jan Stoll
    (Siehe online unter https://dx.doi.org/10.13154/mts.50.2013.25-51)
  • Tagungsbericht Kontinuitäten, Zäsuren, Brüche? Die Lebenslage von Menschen mit Behinderungen in Deutschland nach 1945: Periodisierungsfragen der deutschen Zeitgeschichte aus interdisziplinärer Perspektive. 20.03.2014–22.03.2014, Köln, in: H-Soz- Kult, 02.09.2014
    Bertold Scharf
  • „Behinderung“ als Kategorie sozialer Ungleichheit. Entstehung und Entwicklung der "Lebenshilfe für das geistig behinderte Kind" in der Bundesrepublik in den 1950er und 1960er Jahren, in: Archiv für Sozialgeschichte 54 (2014), S. 169-192
    Jan Stoll
  • Disability Movements. National Policies and Transnational Perspectives - Introductory Remarks, in: Moving the Social 53 (2015), S. 5-10
    Jan Stoll
    (Siehe online unter https://doi.org/10.13154/mts.53.2015.5-10)
  • The German Disability Movement as a Transnational, Entangled New Social Movement, in: Moving the Social 53 (2015), S. 63-86
    Jan Stoll
    (Siehe online unter https://doi.org/10.13154/mts.53.2015.63-86)
  • Disability History - Begriffe, Themen, Methoden, in: Geschichte betrifft uns 5 (2016), S. 4-6
    Gabriele Lingelbach
  • Einleitung: Kontinuitäten, Zäsuren, Brüche in der deutschen Disability History nach 1945, in: Gabriele Lingelbach / Anne Waldschmidt (Hg.): Kontinuitäten, Zäsuren, Brüche? Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen in der deutschen Zeitgeschichte, Frankfurt/ New York 2016, S. 7-27
    Gabriele Lingelbach zusammen mit Anne Waldschmidt
  • Funktionswandel des westdeutschen Behindertensports zwischen therapeutischer Heilmaßnahme und selbstbestimmtem Freizeitverhalten (1945-1990), in: Gabriele Lingelbach / Anne Waldschmidt (Hg.): Kontinuitäten, Zäsuren, Brüche? Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen in der deutschen Zeitgeschichte, Frankfurt/ New York 2016, S. 262-288
    Sebastian Schlund
  • Kompensation des "Makels"? Der organisierte Sport kriegsversehrter Männer in der Bundesrepublik Deutschland 1950 bis 1968, in: Bernhard Gotto / Elke Seefried (Hg.): Männer mit "Makel". Männlichkeiten und gesellschaftlicher Wandel in der frühen Bundesrepublik, Berlin 2016, S. 49-61
    Sebastian Schlund
  • Kontinuitäten, Zäsuren, Brüche? Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen in der deutschen Zeitgeschichte, Frankfurt/ New York 2016
    Gabriele Lingelbach zusammen mit Anne Waldschmidt (Hrsg.)
  • Neue Soziale Bewegungen von Menschen mit Behinderungen - Behinderten- und Krüppelbewegung in den 1970er und 1980er Jahren, in: Gabriele Lingelbach / Anne Waldschmidt (Hg.): Kontinuitäten, Zäsuren, Brüche? Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen in der deutschen Zeitgeschichte, Frankfurt/ New York 2016, S. 214-238
    Jan Stoll
  • "Behinderung" überwinden? Organisierter Behindertensport in der Bundesrepublik Deutschland (1950-1990), Frankfurt am Main/ New York 2017
    Sebastian Schlund
  • Behinderte Anerkennung? Interessenorganisationen von Menschen mit Behinderung in Westdeutschland seit 1945, Frankfurt a.M./ New York 2017
    Jan Stoll
  • Jenseits der Epochengrenzen: Perspektiven auf die allgemeine Geschichte, in: Cordula Nolte et al. (Hg.): Handbuch der Dis/ability History der Vormoderne, Affalterbach 2017, S. 50-52
    Gabriele Lingelbach zusammen mit Anne Waldschmidt
  • Blindheit in der Gesellschaft. Historischer Wandel und interdisziplinäre Zugänge, Frankfurt/ New York 2018
    Gabriele Lingelbach zusammen mit Alexa Klettner (Hrsg.)
  • Potenziale und Grenzen einer multi- bzw. interdisziplinären Analyse von Blindheit als gesellschaftlichem Phänomen, in: Alexa Klettner / Gabriele Lingelbach (Hg.): Blindheit in der Gesellschaft. Historischer Wandel und interdisziplinäre Zugänge, Frankfurt/New York 2018, S. 7-33
    Gabriele Lingelbach zusammen mit Alexa Klettner
 
 

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