Mehr als Wehr. Symbolische Funktionen antiker Befestigungen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Forschungsprojekt stellt die erste übergreifende Studie zu symbolischen Funktionen antiker Befestigungen dar und analysiert erstmals ihre verschiedenen Arten, Ausdrucksmittel und Inhalte sowie deren Wandel im Verlauf der Antike. Das überraschendste Ergebnis der Studie stellt die Erkenntnis dar, dass die überwiegende Zahl von Befestigung repräsentative Elemente beinhaltet, sogar bei weniger bedeutenden Siedlungen, auch wenn sich deren Umfang und Gestalt von Fall zu Fall sehr stark unterscheiden: dass über eine Befestigung symbolische Botschaften an ihre Betrachter kommuniziert wurden, ist demnach nicht eine Ausnahme, sondern spätestens seit der archaischen Zeit die Regel. Bezüglich der Identifikation von Hinweisen auf symbolische Funktionen gilt zwar die Grundregel, dass alles, was über das im jeweiligen Kontext der Befestigung angemessene, zum Schutz, zur Verteidigung und zur urbanistischen Struktur der zugehörigen Siedlung bzw. Region notwendige Maß hinausgeht, als Anhaltspunkt dienen kann, doch müssen die verschiedenen Kontexte gründlich analysiert werden, um eine solche Angemessenheit beurteilen zu können und die Sender, die Aussageabsicht und die beabsichtigten Empfänger einer symbolischen Botschaft zu bestimmen, verschiedene Arten von symbolischen Funktionen voneinander zu trennen und ihre Wirkung zu beurteilen. Die Ausdrucksmittel symbolischer Funktionen verändern sich im Laufe der Antike. Sie können sich in unverhältnismäßigen Dimensionen des Mauerverlaufs oder einzelner Komponenten, landschaftlichen Inszenierungen, der Vervielfältigung von Komponenten, besonders akkuratem, ästhetisch-dekorativem oder farblich akzentuiertem Mauerwerk, Spolienverwendung, architektonischem oder skulpturalem Dekor sowie der Integration von kultischen Elementen manifestieren. In der griechischen und römischen Welt sind teils ähnliche, aber auch grundlegend verschiedene Formen symbolischer Funktionen an Befestigungen feststellbar. Vor allem in der pax Romana der Kaiserzeit entsteht das Phänomen der nahezu aus rein symbolischen Gründen errichteten Stadtmauern oder einzelner Stadttore, die als Zeichen des Wohlstands oder städtischer Lebenskultur fungieren. Allgemein zeigt sich, dass sich nur in langen Friedensperioden Repräsentationsbedürfnisse vermehrt in vom Wehrzweck unabhängigen Dekorelementen ausdrücken, die teils zum Selbstzweck werden, während zu Zeiten der aktiven Wehrrolle von Befestigungen die gesteigerte Hervorhebung von Wehrelementen im Vordergrund steht, die gleichzeitig auch Abschreckungswirkung ausübt. Ausdrucksformen symbolischer Funktionen an Befestigungen sind immer sowohl von den jeweiligen politischgesellschaftlichen Kontexten als auch von architektonisch-künstlerischen Traditionen geprägt. Bezüglich der Klassifizierung der verschiedenen Symbolisierungsarten erweist sich die von Christoph Baumberger 2010 entwickelte Symboltheorie der Architektur als praktikables Instrumentarium. Die Aussagen symbolischer Botschaften, die nach außen, aber auch an die Bevölkerung der zugehörigen Siedlungen selbst gerichtet sind, lassen sich teils an ihren Ausdrucksformen ablesen, oft aber in ihrer Tragweite nur durch die Kenntnis der Kontexte ermitteln. Auch unterscheidet sich die ursprüngliche Intention der Erbauer oft deutlich vom Verständnis der Monumente durch seine Rezipienten, vor allem im Laufe der längeren Geschichte eines Bauwerks. Häufig lassen sich symbolische Ausdrucksformen als Zeichen der Macht, Wehrkraft, Unabhängigkeit, des Wohlstands, der handwerklich-künstlerischen Fähigkeiten, des politisch-gesellschaftlichen oder kulturellen Status oder des göttlichen Schutzes interpretieren, in manchen Fällen jedoch erlauben die Kontexte konkretere Interpretationen semantischer Aspekten als Signale ethnischer Identität, wiedererlangter Freiheit, kolonialer Oberhoheit, von Herrscherrepräsentation, privater Wohltätigkeit, der Reetablierung kaiserlicher Macht oder als Spiegelbild des Götterhorizontes ihrer Stadt. Über die ganze Antike wird deutlich, dass Stadtmauern als das schmuckhafte Bild ihrer Stadt nach außen begriffen werden. Dies ergibt auch die Analyse von Schrift- und Bildquellen zu Stadtmauern, in welchen die Mauern als Zeichen der Stadt fungieren und die auch die Verwendung der Symbolkraft der Mauern für die Privatrepräsentation zeigen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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The historical context of the city wall of Messene: preconditions, written sources, success balance, and societal impacts, in: ProcDIA 7, 2014, 105-122
S. Müth
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Mauerwerksformen und Mauerwerkstechniken, in: S. Müth – P. I. Schneider – M. Schnelle – P. D. De Staebler (eds.), Ancient Fortifications: A compendium of theory and practice, Fokus Fortifikation Studies, no. 1. Oxford, Oxbow Books, 2016. S. 75-100, Kap. 5. - 9781785701399
C. Brasse – S. Müth
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Methods of interpretation, in: S. Müth – P. I. Schneider – M. Schnelle – P. D. De Staebler (eds.), Ancient Fortifications: A compendium of theory and practice, Fokus Fortifikation Studies, no. 1. Oxford, Oxbow Books, 2016. S. 1-23, Kap. 1. - 9781785701399
S. Müth – A. Sokolicek – B. Jansen – E. Laufer
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Symbolische Funktionen, in: S. Müth – P. I. Schneider – M. Schnelle – P. D. De Staebler (eds.), Ancient Fortifications: A compendium of theory and practice, Fokus Fortifikation Studies, no. 1. Oxford, Oxbow Books, 2016. S. 126-158, Kap. 7. - 9781785701399
S. Müth – E. Laufer – C. Brasse, M. Schnelle
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Urbanistic functions and aspects, in: S. Müth – P. I. Schneider – M. Schnelle – P. D. De Staebler (eds.), Ancient Fortifications: A compendium of theory and practice, Fokus Fortifikation Studies, no. 1. Oxford, Oxbow Books, 2016. S. 159-172, Kap. 8. - 9781785701399
S. Müth