Konsum und Lebensstandard: Eine Langfristanalyse der Einkommensverwendung in Deutschland
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Im Rahmen des geförderten Projekts wurden verschiedene Forschungsfragen zur Entwicklung der Konsumausgaben in Deutschland zwischen 1978 und 2008 im Allgemeinen sowie speziell aus wohlfahrtsstaatlicher und sozialpolitischer Perspektive untersucht. Hinsichtlich der Entwicklung der absoluten Konsumausgaben konnte gezeigt werden, dass diese bis Anfang des 21. Jahrhunderts stetig ansteigen. Zwischen 2003 und 2008 kommt es zu einem Rückgang der Konsumausgaben, welcher als Reaktion auf das gesunkene Einkommensniveau, die zunehmenden Abstiegsängste und den wachsenden Bedarf an privater Altersvorsorge gedeutet werden kann. Neben der absoluten Höhe der Konsumausgaben veränderte sich im Zeitraum auch die Konsumstruktur, d.h. die anteilige Verteilung der Konsumausgaben auf die Konsumkategorien. Eine Zunahme in den relativen Ausgaben verzeichneten die Bereiche Wohnen, Freizeit und Gesundheit. Es wurde vermutet, dass der gestiegene Wohlstand, die Entwicklung der Güterpreise sowie der (familien-) demografische Wandel diesen Konsumstrukturwandel erklären können. Die Dekompositionsanalyse zeigt allerdings, dass die Verschiebung der Einkommens-, Alters- und Haushaltsstruktur zwischen 1978 und 2008 die Veränderungen in der Konsumstruktur nicht erklären kann. Andere Merkmale der sozialen Lage oder des sozialen Status konnten aufgrund unzureichender Datenlage nicht getestet werden. Da sich die Konsumstruktur verschiedener soziodemografischer Gruppen im Zeitverlauf signifikant ändert, wird davon ausgegangen, dass veränderte Konsumpräferenzen den Konsumstrukturwandel hervorgerufen haben. Der im Zusammenhang mit der Pluralisierung von Lebens- und Konsumstilen behauptete Bedeutungsverlust der sozialen Lage und des sozialen Status zeigt sich für die Einkommensverwendung nicht wie erwartet in einer deutlichen Angleichung der Konsumstrukturen zwischen verschiedenen soziodemografischen Gruppen. Bezüglich der Verteilung der Konsumausgaben kam das Projekt zu dem Ergebnis, dass die Konsumausgaben bis zum Jahr 2003 zunehmend ungleicher verteilt waren, die Ungleichheit zwischen 2003 und 2008 jedoch wieder leicht zurückging. Im Vergleich zu den Einkommen waren die Konsumausgaben dabei stets weniger ungleich verteilt. Die für die Einkommen konstatierte zunehmende Polarisierung zeigt sich für die Konsumausgaben nur in abgeschwächter Form. Bestätigt werden konnte die Annahme, dass relative Armutsquoten auf Basis der Konsumausgaben geringer ausfallen als auf Basis der Einkommen. Eine Ausnahme stellt nur das erste Beobachtungsjahr dar. Die zusätzliche Betrachtung weiterer Lebensstandardmerkmale als Armutsindikatoren erbrachte keine eindeutigen Erkenntnisse hinsichtlich einer stärkeren Benachteiligung einkommens- oder konsumarmer Personen. Es zeigte sich allerdings, dass Konsum- und Einkommensarmut nicht die gleichen Armutspopulationen umfassen. Im Laufe der Zeit haben sich die beiden Armutspopulationen jedoch angenähert. Mit zunehmendem Alter der betrachteten Personen fallen wie vermutet die Armutspopulationen tendenziell eher auseinander. Für diese Entwicklung scheint aber nicht unbedingt die im Lebenslauf erworbene Haushaltsausstattung verantwortlich, da der Ausstattungsgrad der Haushalte mit zunehmendem Alter sinkt. Vielmehr scheint es so, als hätten sich die Ansprüche an den eigenen Lebensstandard mit zunehmendem Alter an vorhandene Möglichkeiten angepasst. Die Analysen zur Deprivation auf Basis des PASS berichten von einem steigenden Lebensstandard deutscher Haushalte zwischen 2006 und 2013 und widersprechen damit bis dato bestehenden Forschungsergebnissen. Als eine mögliche Ursache für diese konträren Ergebnisse wird die Unvollständigkeit und fehlende Aktualität der vielfach verwendeten Liste von Lebensstandardmerkmalen und somit auch der Notwendigkeitseinschätzungen diskutiert. Eine im Jahr 2015 online durchgeführte Befragung zur Notwendigkeit der abgefragten Lebensstandardmerkmale konnte zeigen, dass es deutliche Verschiebungen bezüglich der Notwendigkeit verschiedener Lebensstandardmerkmale im Zeitverlauf gegeben hat und aus heutiger Sicht wichtige Lebensstandardmerkmale fehlen. Die Primärdatenerhebungen zeigen, dass viele der Elemente des Leitmotivs „Fördern und Fordern“ der Hartz-Reformen auf gesellschaftlichen Rückhalt stoßen, die Höhe der Regelleistungen aber im Allgemeinen als zu niedrig empfunden wird. Die Teilnehmer der Studien befürworten zudem eine genauere Differenzierung der Hilfewürdigkeit des Leistungsempfängers bei der Auszahlung von Leistungen sowie eine Überarbeitung einiger normativer Setzungen des Berechnungsmodells.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2015). „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!“ Eine Vignettenanalyse zur Bestimmung eines Einkommensmindestbedarfs, Zeitschrift für Sozialreform 61(2): 171-198
Hörstermann, K. & H.J. Andreß
(Siehe online unter https://doi.org/10.1515/zsr-2015-0204) - Der Wandel der Konsumstruktur in Deutschland – ein Indiz für die Individualisierung von Lebensstilen oder doch die Folge soziodemografischer Entwicklungen? Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, December 2016, Volume 68, Issue 4, pp 713–730
Hörstermann, K.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1007/s11577-016-0388-z) - Konsumausgaben als Wohlstandsindikator – was können sie uns über Armut und Ungleichheit berichten? Ein Vergleich einkommens- und konsumbasierter Armuts- und Ungleichheitsmaße mit Hilfe der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe = Consumption as an Indicator of Well-being – What Can It Teach Us about Poverty and Inequality? Zeitschrift für Soziologie, Band 45, Heft 3, S. 181–199, 2016
Hörstermann, K.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1515/zfsoz-2015-1011)