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Prosodische Prominenz - Klassifikation, Gradienz, Relativität

Fachliche Zuordnung Allgemeine und Vergleichende Sprachwissenschaft, Experimentelle Linguistik, Typologie, Außereuropäische Sprachen
Förderung Förderung von 2012 bis 2020
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 221144609
 
Erstellungsjahr 2019

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Die zweite Projektphase hat sich primär mit Fragen der Relativität von Prominenz auf syntagmatischer Ebene sowie der Kontextabhängigkeit prosodischer Prominenz befasst. Hierzu wurden zunächst eine Reihe von Produktionsstudien durchgeführt, die zeigen konnten, dass nicht nur nukleare Akzente sondern auch pränukleare Akzente durch den Informationsgehalt (Gegebenheitsstufen kombiniert mit der Fokusebene) in ihrer Form beeinflusst werden. Von besonderer Bedeutung ist hierbei das Ergebnis, dass selbst gegebene Referenten in satzinitialer Position mit einem pränuklearen Akzent markiert und diese pränuklearen Akzente darüber hinaus überwiegend mit einem steigenden Akzentton realisiert werden. Die Ergebnisse dieser Studien zeigen somit, dass prosodische Prominenz sowohl kontextsensitiv ist, da der Informationsgehalt die Wahl des Akzenttyps beeinflusst, als auch relational bzw. positionsbedingt, da ein stärkerer Effekt des Informationsgehalts auf nukleare als auf pränukleare Akzente beobachtet werden kann (Ziel 1). Eine Random-Forest-Analyse von Baumann und Winter (2018) hat gezeigt, dass es hörerspezifische Unterschiede hinsichtlich der Warhnehmung von prosodischer Prominenz gibt (Ziel 2): Eine Grupppe hat sich hauptsächlich auf tonale Reize bezogen und lexikalische und semantisch-syntaktische Faktoren vernachlässigt, während sich eine zweite Gruppe entgegengesetzt verhalten hat. Trotz dieser Variation zwischen den Gruppen zeigen die Ergebnisse, dass besonders die Faktoren AKZENTUIERTHEIT, AKZENTPOSITION und AKZENTTYP die Wahrnehmung maßgeblich beeinflussen. Zusätzlich konnte eine EKP-Studie zu First Occurrence Focus (FOF) und Second Occurrence Focus (SOF) (Baumann & Schumacher 2019, Baumann & Schumacher in Revision) zeigen, dass SOF-Prominenzen hinsichtlich des kognitiven Aufwands eine Gruppe mit Hintergrund-Material bilden. Die Daten zeigen einen Effekt von NEUHEIT auf die Verarbeitung von FOF-Akzenten (höherer kognitiver Aufwand in posterioren Hinrnregionen) sowie einen Effekt von Tonbewegung (FOF-Akzente zeigen einen geringeren kognitiven Aufwand in anterioren Hirnregionen). Ferner zeigt ein Perzeptionsexperiment von Baumann, Mertens und Kalbertodt (in Vorbereitung), dass pränukleare Akzente hauptsächlich dann als angemessen bewertet werden, wenn sie einen steigenden Tonverlauf aufweisen. Dennoch zeigen die Daten auch eine Kontextsensitivität bei der Perzeption pränuklearer Akzente, d.h. der Informationsgehalt eines Referenten beeinflusst die Angemessenheitsbewertung der verschiedenen Akzenttypen. Zusammengenommen zeigen die Ergebnisse der Perzeptions- und Kognitionsstudien, dass die in den Produktionsstudien beobachtete Kontextsensitivität und Relationalität prosodischer Prominenz auch in der Wahrnehmung eine maßgebliche Rolle spielt. Schließlich konnte gezeigt werden, dass sich DIMA als umfassendes Beschreibungsmodell für die Prosodie des Deutschen (Ziel 3) bewähren kann. In Folge der Überarbeitung der Richtlinien (neueste Version 2019) konnte eine höhere Übereinstimmung in der Annotation sowohl unter Experten als auch unter Anfängern erzielt werden. Besonders die phonetisch ausgerichtete Vorgehensweise bei der Identifikation von Phrasen, Tönen und relativen Prominenzen macht DIMA zu einem leicht erlernbaren Annotationssystem. Durch die Unabhängigkeit der Beschreibungsebenen wird somit ein Ausgangspunkt für den Vergleich und die Übersetzung in andere Systeme gewährt, ohne dass eine Interpretation nötig wird. Demzufolge ist DIMA als Konsenssystem auch für eine Anwendung im außerfachlichen Kontext geeignet. In Zukunft soll überprüft werden, inwieweit DIMA in andere Systeme übersetzbar ist und ob ein solcher Prozess automatisiert werden kann.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2016). Acoustic Cues to Perceived Prominence Levels – Evidence from German Spontaneous Speech. Proceedings Speech Prosody 8, Boston, USA. 711-715
    Baumann, Stefan, Oliver Niebuhr & Bastian Schroeter
    (Siehe online unter https://doi.org/10.21437/speechprosody.2016-146)
  • (2016). Second Occurrence Focus. In: Féry, Caroline & Shinichiro Ishihara (eds.): The Oxford Handbook of Information Structure. Oxford: OUP. 483-502
    Baumann, Stefan
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1093/oxfordhb/9780199642670.013.38)
  • (2018). What makes a word prominent? Predicting untrained German listeners' perceptual judgments. Journal of Phonetics 70. 20-38
    Baumann, Stefan & Bodo Winter
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1016/j.wocn.2018.05.004)
  • (2019). Annotation of German intonation: DIMA compared with other annotation systems. Proceedings 19th ICPhS, Melbourne, Australia. 1297-1301
    Kügler, Frank, Stefan Baumann, Bistra Andreeva, Bettina Braun, Martine Grice, Jana Neitsch, Oliver Niebuhr, Jörg Peters, Christine T. Röhr, Antje Schweitzer & Petra Wagner
  • (2019). Informativeness and speaking style affect the realization of nuclear and prenuclear accents in German. Proceedings 19th ICPhS, Melbourne, Australia. 1580-1584
    Baumann, Stefan, Jane Mertens & Janina Kalbertodt
 
 

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