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Theater zwischen Reproduktion und Transgression körperbasierter Humandifferenzierungen

Fachliche Zuordnung Theater- und Medienwissenschaften
Förderung Förderung von 2013 bis 2021
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 222346160
 
Erstellungsjahr 2021

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Ziel des Teilprojekts war während des gesamten Förderungszeitraums die vergleichende Erforschung von Praktiken der Humandifferenzierung nach Geschlecht und Ethnizität, welche gegenwärtig an und mit den Körpern von Theaterschauspieler/innen im Bereich des institutionellen Sprechtheaters in Deutschland vollzogen werden. In der ersten Förderphase waren die Bestrebungen dabei primär auf die Erforschung der Produktion von (Kunst-)Figuren gerichtet. Der relevante Gegenstandsbereich bestand aus dem institutionell eingebetteten, in der Regel dreigliedrigen Arbeitsprozess der Entstehung und Realisation einer Inszenierung im Kontext eines Theaterhauses (1. Casting, 2. Probenarbeit und 3. Aufführung(sserie)). Ausgangspunkt hierfür war das Konzept der performativen Reflexion des Ethnologen Dwight Conquergood (1991), nach welchem der Vollzug von Handlungen zugleich ihre produktive Verhandlung bedeutet. Wegweisend war darüber hinaus die Annahme, dass Theaterschauspieler/innen aufgrund der spezifischen Medialität und Materialität des Theaterrahmens als Spezialisten einer Form von kultureller Kommunikation begriffen werden können, die auf der Basis ihrer Körperlichkeit Praktiken der Humandifferenzierung grundsätzlich als solche ausstellen und den Zuschauer/innen dadurch die Steigerung der eigenen intellektuellen Reflexion auf die Rahmen von Alltagswelt und Fiktionalität ermöglichen. Mit dem cross-genderacting einerseits und dem cross-ethnic-acting andererseits sollten dabei vornehmlich solche performativen Praktiken untersucht werden, die den Konstruktionsprozess von Differenzierungen nach Geschlecht und Ethnizität bzw. ‚Rasse‘ im Sinne eines undoing zu unterbrechen vermögen und somit selbst als biologisch gerahmte Kategorisierungen als Fiktionen sichtbar werden lassen. Im Übergang von der ersten zur zweiten Förderphase wurde jedoch in zweierlei Hinsicht eine Modifikation bzw. Erweiterung der Perspektive notwendig: von der Erforschung des transgressiven Potenzials von Theater im Hinblick auf Geschlecht und Ethnizität hin zur Erforschung des paradoxen Spannungsverhältnisses von Theater zwischen Reproduktion und Transgression körperbasierter Humandifferenzierungen. Zum einen, da die verhältnismäßig flüchtige Realisierung von Geschlecht und Ethnizität auf der Theaterbühne in ihrem vollen Bedeutungshorizont nicht ohne die komplementäre Erforschung ihrer Erhärtung in einer dauerhaften sozialen Einheit (Organisationen, Infrastrukturen, Märkte etc.) untersucht werden kann; zum anderen, da die genannten Humandifferenzierungen sich nur in ihrem Zusammenspiel mit anderen körperbasierten Humandifferenzierungen wie (Spiel-)Alter, Behinderung und Attraktivität angemessen untersuchen lassen – so die beiden zentralen Erkenntnisse der ersten Förderphase. In der zweiten Förderphase stand daher nicht mehr die Produktion von (Kunst-)Figuren, sondern von Künstler/innen im Vordergrund des Interesses. Der relevante Gegenstandsbereich bestand entsprechend aus dem gesamten, die „Institution“ des deutschen Sprechtheaters alltäglich re/produzierenden Praxiskomplexes (staatliche Schauspiel(hoch)schulen, Künstlervermittlungen, öffentliche Theaterhäuser und professionelle wie nicht-professionelle Zuschauer/innen), wodurch habitualisierte Verhaltensweisen und strukturelle Aspekte verstärkt in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt sind, die den Entscheidungen der einzelnen Subjekte vorausgehen bzw. diese bedingen. Mittels zuvor bereits erprobter ethnographischer Verfahren sollten so jene „Bedingungskonstellationen“ empirisch untersucht werden, die für die Relevanz oder Irrelevanz von Geschlecht und Ethnizität im Zusammenspiel mit anderen körperbasierten Humandifferenzierungen verantwortlich sind, wobei die einzelnen, letztlich in ihrem Zusammenhang zu betrachtenden Bereiche des Praxiskomplexes jeweils unterschiedliche Ansatzpunkte bieten und Fragen evozieren. Aus differenzierungstheoretischer Perspektive suchte das Projekt damit zugleich einen Beitrag zur notwendigen Überwindung des theaterwissenschaftlichen zu Bias leisten, die institutionellen Bedingungsfaktoren der Produktion und Rezeption von Kunst und Künstler/innen weitgehend auszublenden. Zu diesem Zweck wurde einerseits der dem soziologischen Neo-Institutionalismus zuzurechnende kultur- wie organisationssoziologische Ansatz organisationaler Felder für die Theaterwissenschaft erschlossen sowie ein innovativer transdisziplinärer Ansatz zur Kombination ethnographischer und aufführungsanalytischer Verfahren entwickelt. Dabei weist der Fall „Theater & Migration“ bzw. der diesbezüglich aktuell zu beobachtende institutionelle Wandel insofern über sich hinaus als er ‚sichtig‘ werden lässt, dass ein solch enges Verhältnis von (bedeutsamem) Körper und schauspielerischer Leistung nicht ‚natürlich‘, sondern – wie auch der Vergleich mit Theater in anderen Zeit/Räumen zeigt – in hohem Grade kontingent ist: im Sinne einer Irritierbarkeit bzw. Veränderbarkeit des schauspielerischen Codes und einer entsprechenden Konvergenz sozialer und ästhetischer Ordnung(en) bzw. Norm.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2014): Reflexion von ethnischer Identität(szuweisung) im deutschen Gegenwartstheater. Marburg: Tectum
    Voss, H.
  • (2016): „Schauspieler_innen als Ethnograph_innen.“ In: Haß, Ulrike et al. (Hg.): Episteme des Theaters. Aktuelle Kontexte von Wissenschaft, Kunst und Öffentlichkeit. Bielefeld: Transcript, 539–549
    Kreuder, F.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.14361/9783839436035-039)
  • (2017): Re/produktionsmaschine Kunst. Kategorisierungen des Körpers in den Darstellenden Künsten. Bielefeld: Transcript
    Kreuder, F./Koban, E./Voss, H. (Hg.)
    (Siehe online unter https://doi.org/10.14361/9783839436844)
  • (2017): „Doing Refugee in Nicolas Stemanns Die Schutzbefohlenen zwischen Ästhetik und Institution.“ In: Peter, Birgit/Pfeiffer, Gabriele (Hg.): Flucht – Migration – Theater. Dokumente und Positionen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 165–176
    Voss, H.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.14220/9783737006675.165)
  • (2017): „Schauspieler/innen zwischen Institution und Profession. Zur Relevanz ethnischer Kategorisierungen im deutschen Sprechtheater am Beispiel des Künstlervermittlungswesens.“ In: Kreuder, Friedemann/Koban, Ellen/Voss, Hanna (Hg.): Re/produktionsmaschine Kunst. Kategorisierungen des Körpers in den Darstellenden Künsten. Bielefeld: Transcript, 117–132
    Voss, H.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1515/9783839436844-008)
  • (2017): „Theater zwischen Reproduktion und Transgression körperbasierter Humandifferenzierungen.“ In: Dramaturgie. Zeitschrift der Dramaturgischen Gesellschaft 2, 47–52
    Voss, H.
  • (2017): „Theater zwischen Reproduktion und Transgression körperbasierter Humandifferenzierungen.“ In: Hirschauer, Stefan (Hg.): Un/doing Differences. Praktiken der Humandifferenzierung. Weilerswist: Velbrück, 234–258
    Kreuder, F.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.5771/9783845292540-235)
  • (2018): Der Joker im Schauspiel. Zur Reproduktion und Transgression von Typen im deutschen Ensembletheater am Beispiel des Theaterduos Vontobel / Schulz. Bielefeld: Transcript
    Koban, E.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.14361/9783839441916)
  • (2018): „Autonome Kunst? Legitimität und institutioneller Wandel im deutschen Sprechtheater.“ In: Forum Modernes Theater 28:2, 143–159
    Voss, H.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1353/fmt.2013.0017)
  • (2020): „Theater zwischen Reproduktion und Transgression. Theaterwissenschaft als sozialwissenschaftliche Differenzierungsforschung.“ In: Balme, Christopher/Szymanski-Düll, Berenika (Hg.): Methoden der Theaterwissenschaft. Forum Modernes Theater 56. Tübingen: Narr Francke Attempto, 257–277
    Kreuder, F.
 
 

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