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Kategorien im Wandel: Migrant/innen in epidemiologischen, präventiven und rechtlichen Diskursen zu HIV/Aids und Tuberkulose im Ländervergleich (D/GB)

Fachliche Zuordnung Empirische Sozialforschung
Förderung Förderung von 2012 bis 2016
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 222446982
 
Erstellungsjahr 2016

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Projekt „Kategorien im Wandel“ untersucht die Kategorien der Gesundheitsberichterstattung, mithilfe derer epidemiologisches Wissen über Migrant/innen, HIV/Aids und Tuberkulose (TB) in Deutschland und Großbritannien hergestellt wird. Diese Kategorien (z.B. „Ausländer“, „Migranten“ und – in Großbritannien – „ethnic groups“) haben sich seit den 1980er Jahren stark gewandelt und sind Gegenstand lebhafter Diskussionen. Das vorliegende Projekt untersucht die Prozesse der Kategorisierung zum ersten Mal aus wissenssoziologischer und diskursanalytischer Perspektive: Im Fokus steht die Rekonstruktion der Genese, des Wandels und der Machteffekte dieser Kategorien im Zeitraum 1980-2014. Mithilfe einer Wissenssoziologischen Diskursanalyse (WDA) wurden Dokumente der Gesundheitsberichterstattung und der epidemiologischen Fachdiskussion, Expert/innen-Interviews, Feldnotizen sowie weitere Dokumente interpretativ ausgewertet. Die Diskurse in Deutschland und Großbritannien weisen wesentliche Unterschiede auf: in Großbritannien werden Ethnizitäts-Kategorien verwendet, die rassifizierende Anteile beinhalten (z.B. „Black African“, „White“), sich weiter ausdifferenzieren und an die Kategorien der Sozialstatistiken angeglichen werden. Auch in der deutschen Berichterstattung wurden (neue, differenziertere) migrationsbezogene Kategorisierungen (z.B. nach Staatangehörigkeit und Geburtsland) eingeführt, aber es wird keine Klassifikation von ethnischen Gruppen vorgenommen. Die unterschiedlichen Kategorisierungspraxen lassen sich im jeweiligen soziohistorischen Kontext verstehen, inklusive der jeweiligen Kolonial- (und im Fall von Deutschland: NS-) Geschichte, den spezifischen Migrationsbewegungen und den darauf bezogenen politischen und administrativen Politiken. Gemeinsam ist den Diskursen, dass sie ähnliche Deutungsmuster aufweisen, wie die Rahmung von Migrant/innen als potentielle ‚Importeure‘ von Infektionskrankheiten und als Gefahr für die Gesundheit der einheimischen Bevölkerung. Dieses Deutungsmuster ist bei TB stärker ausgeprägt als bei HIV, was auf die unterschiedlichen Akteurs- und Diskurskoalitionen verweist. Der HIV-Diskurs ist stärker von zivilgesellschaftlichen Akteuren und Sprecherpositionen beeinflusst, die sich auf Menschenrechte, den Schutz von infizierten Personen(gruppen), individuelle Eigenverantwortung und gesellschaftliche Lernprozesse beziehen (New Public Health), wohingegen der TB-Diskurs stärker durch professionelle Akteure des Gesundheitssystems und medizinische Sprecherpositionen geprägt ist, die die Verantwortung und Kontrollfunktion des öffentlichen Gesundheitswesen hervorheben (Old Public Health). Bei HIV ist ein zweiter Referenzrahmen stärker ausgeprägt, der Migrant/innen und ethnischen Minderheiten als „vulnerable“ Gruppen konzipiert, deren Gesundheitschancen und Zugang zum Gesundheitssystem verbessert werden sollten. Das spezifische Zusammenspiel dieser beiden Deutungsrahmen ist in den deutschen und britischen HIV- und TB-Diskursen jeweils unterschiedlich ausgeprägt. Beide Deutungsmuster dienen der Legitimierung der jeweiligen Kategorisierungspraktiken und basieren - unabhängig von ihrer unterschiedlichen normativen Ausrichtung - auf der Unterstellung und Herstellung dieser Gruppen als Gruppen.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2014): The Classification of „Migrants” as a Discursive Practice in Public Health. A Sociology of Knowledge Approach. WZB Discussion Paper SP III 2014-601, Berlin: Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)
    Scott, Penelope; Odukoya, Dennis; von Unger, Hella
  • Kategorisierung als diskursive Praktik: Die Erfindung der „Ausländer-Tuberkulose“. In: Bosančić S., Keller R. (eds) Perspektiven wissenssoziologischer Diskursforschung. Theorie und Praxis der Diskursforschung. Springer VS, Wiesbaden, 2016, pp 157-176
    von Unger, Hella; Odukoya, Dennis; Scott, Penelope
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-658-13610-9_9)
  • A tale of two diseases: Discourses on TB, HIV/AIDS and im/migrants and ethnic minorities in the United Kingdom. Social Theory & Health August 2017, Volume 15, Issue 3, pp 261–284
    Scott, Penelope; von Unger, Hella; Odukoya, Dennis
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1057/s41285-017-0026-5)
  • Using SKAD to analyze Classification Practices in Public Health: Methodological Reflections on the Research Process. In: Keller, Reiner; Schünemann, Wolf; Hornidge, Anna (Hg.) The Sociology of Knowledge Approach to Discourse Investigating the Politics of Knowledge and Meaning-making. London, Routledge, 2018, chapter 9 (17 S.) - 9781351690614
    von Unger, Hella; Scott, Penelope; Odukoya, Dennis
 
 

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