Die Notengebung an Hochschulen in Deutschland von den 1960er Jahren bis heute. Trends, Unterschiede, Ursachen.
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt hat erforscht, welche Einflüsse, die nicht mit den Leistungen von Examenskandidaten zusammenhängen, die Noten in den Abschlussexamen an Deutschlands Hochschulen zusätzlich bestimmen. Dafür wurden erstens aus Universitätsarchiven für ausgewählte Hochschulen und Fächer Daten von Noten seit den 50er Jahren erhoben. Zweitens wurde die seit 1998 vorhandene elektronische Prüfungsstatistik des statistischen Bundesamts, die sämtliche Hochschulen und Fächer umfasst, zusammen mit der dazugehörigen Personalstatistik ausgewertet. Drittens wurden Gruppendiskussionen mit Hochschulprüfern, sowohl externen Prüfungsvorsitzenden wie Professorinnen, über ihre Prüfungspraxis geführt. Die Analyse der Noten über den Zeitraum von den 1950er Jahren bis 2010 ergab zweifelsfrei erstens, dass in den meisten Fächern (Ausnahme: Jura, Maschinenbau) ab den 1970er Jahren eine „grade Inflation" stattgefunden hat: der Durchschnittswert der Noten hat sich um bis zu eine ganze Note verbessert. Zweitens gibt es stabile Unterschiede im Notenniveau zwischen den Fächern (z.B. Durchschnitt 1990-2010: Jura 3,3; Biologie (Diplom) 1,4) und im selben Fach erhebliche Unterschiede zwischen Hochschulen (z.B. Durchschnitt Germanistik Magister 1980-2000: Göttingen 2,3; Berlin 1,7). Drittens beeinflussen die zwischen Überfüllung und Mangel zyklisch schwankenden Studierendenzahlen die Noten, die sich in den gleichen Zyklen verändern, je nach Fach in unterschiedlicher Abhängigkeit. Viertens lässt sich die grade Inflation durch die Zyklen erklären: die Elastizität der Noten in Richtung „besser" ist größer als in Richtung „schlechter", dadurch verbessert sich das Notenniveau nach jedem Zyklus. Die Analyse der Prüfungs- und Personalstatistik konnte eine Reihe oft kolportierter Vorurteile bestätigen, aber auch widerlegen, so ist das Notenniveau schlechter bei älteren und ausländischen Studierenden, und auch bei regionaler Arbeitslosigkeit und in Instituten mit vielen Studierenden, selbst wenn man die Personalausstattung kontrolliert. Besser ist es dagegen im Masterstudium, an privaten Hochschulen und bei älteren Professorinnen. Allerdings sind die Einflüsse je nach Fach und Hochschulart unterschiedlich. Die Analyse der Gruppendiskussionen förderte Motivlagen für die statistischen Ergebnisse zutage. Es werden karrierespezifische Überlegungen angestellt, z.B. im Lehramt Deutsch strenger geurteilt als im Magister Germanistik, weil an den Lehrerberuf deutlichere Berufsvorstellungen geknüpft sind. Weiter bilden sich Fachtraditionen an einzelnen Universitäten heraus, die zu einer Tradierung eines bestimmten universitätsspezifischen Notenniveaus führen. Ebenso können hinter derselben Note ganz unterschiedliche Leistungserwartungen stehen, die sich ebenfalls als institutsspezifisch herausgebildet haben.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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2013. Von einem, der auszog, einen Leistungsindikalor zu erheben. Durchs fallquoten und die Problematik ihrer Bildung. Das Hochschulwesen, Bd.61.2013, Heft 6, S. 200-206 (besprochen
in der FA2 vom 29.1.2014)
Gaens, Thomas
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2015. Noteninflation an deutschen Hochschulen - Werden die Examensnoten überall immer besser? Beiträge zur Hochschulforschung 4/2015, S. 8-36.
Gaens, Thomas
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2015. Sind Examensnoten vergleichbar? Und was, wenn Noten immer besser werden? Der Versuch eines Tabubruchs. die Hochschule, Heft 2/2015, S. 79-93.
Müller-Benedict, Volker; Gaens, Thomas