Lesen und Geschlecht: Differentielles Lese-Erleben in Abhängigkeit von Text- und Personenmerkmalen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Ziel des Projekts war es, Geschlechterunterschiede beim Leseerleben genauer zu untersuchen, und zwar erstens in Interaktion mit Textmerkmalen und zweitens unter Einbeziehung nicht nur des biologischen, sondern auch des sozialen Geschlechts. Bei einer Bewilligung von Mitteln für zwei von drei beantragten Jahren wurden vier von sechs vorgesehenen Untersuchungen durchgeführt: eine Fragebogenstudie (mit 140 Personen) zu Lesehäufigkeit, -motiven und –gewohnheiten, eine explorative Interviewstudie (mit 19 Personen unterschiedlichen sozialen Geschlechts) zu Lesegewohnheiten und –sozialisation sowie zwei experimentelle Untersuchungen (mit je 95 bzw. 99 Teilnehmenden). In Bezug auf die Interaktion zwischen biologischem Geschlecht und Textmerkmalen zeigte sich, dass Geschlechterunterschiede beim Leseerleben nicht auf Präferenzen für verschiedene Genres oder Textinhalte reduziert werden können. Zwar identifizieren Frauen sich stärker mit einer weiblichen Hauptfigur, und ihre Herzfrequenz ist beim Lesen einer Liebesgeschichte höher als bei der Lektüre von SF- oder Kriminalerzählungen, während die Herzfrequenz von Männern bei SF-Erzählungen am höchsten ausfällt. Darüber hinaus zeigten sich jedoch komplexe Dreifachinteraktionen zwischen Geschlecht und Textmerkmalen, die insgesamt vermuten lassen, dass das Leseerleben von Frauen in höherem Maß von Textmerkmalen abhängig ist als das von Männern. Allerdings wurde pro Kombination von Textmerkmalen jeweils nur ein literarischer Text verwendet, so dass eine Konfundierung von je spezifischen Textmerkmalen und den Ausprägungen der unabhängigen Variablen nicht auszuschließen ist. Eine Replikation ist daher erforderlich. Das soziale Geschlecht wurde als Geschlechtsrollenorientierung, Gender-Typizität und –Schematizität erfasst. Auch die Ergebnisse zum sozialen Geschlecht weisen darauf hin dass eine Dichotomisierung des Lektüreerlebens auf der Grundlage des biologischen Geschlechts zu kurz greift. Vielmehr zeigen sich über alle Untersuchungen hinweg differenzierte Erlebensweisen und –präferenzen für same sex-typisierte Personen (feminine Frauen, maskuline Männer) im Vergleich zu cross sex-typisierten Personen (feminine Männer, maskuline Frauen) und zu androgynen bzw. nicht geschlechtstypisierten Personen. Androgyne z. B. betreiben das Lesen eher instrumentell, während cross sex-typisierte Personen das Lesen als einen Zustand empfinden, in dem sie ganz bei sich sind.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2007). A gendered view of reading fiction: going beyond sex differences. Paper presentation at Feminism and Popular Culture, Newcastle, May 2007
Odag, O., Schreier, M. & Thies-Brandner, Y.
- (2007). Lesen Männer und Frauen wirklich anders? Eine Rezeptionsstudie. Vortrag auf der 5. Jahrestagung der Fachgruppe Medienpsychologie, Dresden, September 2007
Schreier, M., Odag, O. & Thies-Brandner, Y.
- (2007). What’s in a book? Effects of genre, focus, and readers’ gender on reading experience. Paper presentation at the X. European Congress of Psychology, Prague, July 2007
Thies-Brandner, Y. & Schreier, M.
- (2008) Reading with a difference? Reading styles and strategies in relation to gender. Paper presentation at the 11th IGEL-Conference at the University of Memphis, July 2008
Odag, O., Schreier, M. & Thies-Brandner, Y.
- (2008). Sleuthing for gender differences in reading experience: A study with thriller-type short stories. Paper presentation at the 29th International Congress of Psychology in Berlin, July 2008
Schreier, M., Thies-Brandner, Y. & Odag, O.