Gesten des Tanzes - Tanz als Geste. Kulturelle und ästhetische Übersetzungen am Beispiel der internationalen Koproduktionen des Tanztheater Wuppertal
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die internationalen Koproduktionen des Tanztheater Wuppertal wurden erstmalig zusammenhängend erforscht. Es konnte das ästhetisch-choreografische Konzept herausgearbeitet werden, das die für zeitgenössische Kunst insgesamt relevanten Fragen der ästhetischen Übersetzung von urbaner Erfahrung, von fremden (Alltags-)Kulturen, von kulturellen Möglichkeiten und Formen der Verständigung umfasst. Dies erfolgte in den Produktionen des Tanztheaters in einer besonderen Weise, indem eine kulturelle Geste in eine tänzerische Form übersetzt wird, die wiederum interkulturell generiert wird. Insofern wurde die Geste als (inter-)kulturelle tänzerische Bewegung und tänzerische Form selbst lesbar. Gesten, so ein Ergebnis, sind ein Phänomen des Übergangs. Sie entstehen, konventionalisieren und transformieren sich in Übersetzungsprozessen und durch Praktiken, indem dem Gesehenen und Beobachteten (im Rechercheprozess), dem Aufgeführten, dem Getanzten (im Stück) und dem Wahrgenommenen (in der Rezeption) immer neue sinnweltliche Rahmungen gegeben werden und damit immer neue Lesarten entstehen. Nicht die symbolische Aufladung der Bewegung selbst entscheidet demnach darüber, ob ein Tanz oder eine Bewegung als Geste wahrgenommen wird, sondern die Form, die Bewegungsqualität der Aufführung und der Kontext, in dem dies stattfindet. Übersetzung war das zentrale theoretische Konzept, mit dem die Geste als ein Phänomen des Übergangs erfasst wurde. Dabei konnte der vorliegende kulturtheoretische Übersetzungsbegriff differenziert und erweitert werden: Übersetzung vollzieht sich immer im Paradox von Identität und Differenz; sie ereignet sich an den Grenzen, den Übergängen, den liminalen Phasen und Orten; sie ist niemals eindeutig oder identisch, sondern immer ein Hybrid mit einer spezifischen Eigenlogik. Ästhetische, mediale und kulturelle Übersetzungen stehen in einem zirkulären Verhältnis zueinander, wobei sich »Tanz-Wissen« über das Tanztheater Wuppertal als kulturelles und diskursives Wissen erst durch mediale Übersetzungen etabliert und konventionalisiert. Am Beispiel der internationalen Koproduktionen des Tanztheater Wuppertal konnten zudem zwei grundlegende Forschungsbeiträge geleistet werden: (1) die Ausarbeitung einer »Praxeologie der Übersetzung«, die für eine kultur-, sozial- und medienwissenschaftliche Bewegungs- und Tanzforschung neuartig ist und zudem einen innovativen Beitrag zu einer kulturwissenschaftlichen Übersetzungstheorie leisten kann; (2) die Entwicklung der Methodologie einer »praxeologischen Produktionsanalyse«, die den bisherigen Methodenkanon der Tanzforschung erweitert und auch Anregungen für die Theaterforschung liefern kann. Die publizierten Forschungsergebnisse wurden international und interdisziplinär rezipiert. Die Beiträge im Bereich des Wissenschaftstransfer wurden von Publikumsmedien (z.B. FAZ, SZ, Theater der Zeit) zur Kenntnis genommen und diskutiert.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2014): »Praktiken des Übersetzens im Werk von Pina Bausch und dem Tanztheater Wuppertal«, in: Wagenbach, Marc/ Pina Bausch Foundation (Hrsg.): Tanz erben. Pina lädt ein, Bielefeld: transcript, S. 25-38 (übersetzt ins Englische und Japanische)
Klein, Gabriele
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(2014): »Wilde Gärten. Archivieren als Übersetzen«, in: Wagenbach, Marc/ Pina Bausch Foundation (Hrsg.): Tanz erben. Pina lädt ein, Bielefeld: transcript, S. 39-54 (übersetzt ins Englische)
Klein, Gabriele/ Wagenbach, Marc
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(2015): »Die Logik der Praxis. Methodologische Aspekte einer praxeologischen Produktionsanalyse am Beispiel ›Das Frühlingsopfer‹ von Pina Bausch«, in: Klein, Gabriele/ Brandstetter, Gabriele (Hrsg.): Methoden der Tanzwissenschaft. Modellanalysen zu Pina Bauschs ›Le Sacre du Printemps/Das Frühlingsopfer‹, (2. überarbeitete und erweiterte Neuauflage), Bielefeld: transcript, S. 123-141
Klein, Gabriele
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(2015): »Künstlerische Praktiken des Ver(un)sicherns. Produktionsprozesse am Beispiel des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch«, in: Wulf, Christoph/ Zirfas, Jörg (Hrsg.): Unsicherheit, Paragrana. Internationale Zeitschrift für Historische Anthropologie, 24 (1), Berlin/Boston/Peking: De Gruyter, S. 201-208
Klein, Gabriele
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(2016): Handbuch Körpersoziologie. 2 Bde: Bd. 1: Grundbegriffe und theoretische Perspektiven, Bd. 2: Forschungsfelder und methodische Zugänge, Wiesbaden: Springer VS
Gugutzer, Robert/ Klein, Gabriele/ Meuser, Michael (Hrsg.)
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(2017): »Praktiken des Erforschens von Publikumswahrnehmung. Methodische Annäherungen an einen ›praxeologischen Sonderfall‹«, in: Klein, Gabriele/ Göbel, Hanna Katharina (Hrsg.): Performance und Praxis. Praxeologische Erkundigungen in Tanz, Theater, Sport und Alltag, Bielefeld: transcript, S. 89-113
Wieczorek, Anna
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(2017): »Tanz weitergeben. Tradierung und Übersetzung der Choreografien von Pina Bausch«, in: Klein, Gabriele/ Göbel, Hanna Katharina (Hrsg.): Performance und Praxis. Praxeologische Erkundigungen in Tanz, Theater, Sport und Alltag, Bielefeld: transcript, S. 63-87
Klein, Gabriele
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(2017): »Tanz – Film – Schrift. Methodologische Herausforderungen und praktische Übersetzungen in der Tanzanalyse«, in: Moritz, Christine/ Corsten, Michael (Hrsg): Handbuch Qualitative Videoanalyse. Method(olog)ische Herausforderungen – forschungspraktische Perspektiven, Wiesbaden: Springer
Klein, Gabriele/ Leopold, Elisabeth/ Wieczorek, Anna
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(2017): »Urban Choreographies. Artistic Interventions and the Politics of Urban Space«, in: Kowal, Rebekah/ Siegmund, Gerald/ Martin, Randy (Hrsg.): The Oxford Handbook of Dance and Politics, Oxford: Oxford University Press, S. 131-147
Klein, Gabriele
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Übersetzen und Rahmen. Praktiken medialer Transformationen, München: Wilhelm Fink
Benthien, Claudia/ Klein, Gabriele (Hrsg.)