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"Bildungsbenachteiligung" als Topos pädagogischer Akteure in Ganztagsschulen

Fachliche Zuordnung Bildungssysteme und Bildungsinstitutionen
Förderung Förderung von 2012 bis 2016
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 231964997
 
Erstellungsjahr 2015

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Insgesamt kann festgehalten werden, dass für die pädagogischen Akteure sowohl der untersuchten Halb- als auch Ganztagsschulen das Funktionieren der jeweils eigenen Organisation ein zentrales Motiv darstellt. Um das jeweilige Orientierungsproblem zu bearbeiten, werden organisational zugängliche und lokal verfügbare sowie den Akteursgruppen in Abhängigkeit von ihrer Position innerhalb der Organisation zu rechtfertigende Motive herangezogen. Hierzu wird insbesondere die soziale Herkunft der Eltern genutzt. Diese wird in Abhängigkeit von der Organisationslogik der jeweiligen Schule eher positiv oder eher negativ bewertet. Neben einer Bewertung der Eltern beinhaltet auch eine Kritik an gesellschaftlichen Veränderungen und an strukturellen Vorgaben Hinweise auf das eigene pädagogisch kompetente Handeln und dient als Bezugspunkt, um die organisationsinterne pädagogische Praxis zu legitimieren. Zudem ist das Hierarchiegefälle zwischen Lehrkräften und weiterem pädagogisch tätigem Personal, welches von beiden Akteursgruppen normalisiert und nur punktuell hinterfragt wird, ein wesentliches Merkmal der ganztägigen Organisationen. Unsere Auswertungen zeigen, dass der Abbau von Bildungsbenachteiligung eine ambivalente Programmatik darstellt: Sie umgibt die untersuchten Organisationen zwar und legitimiert sie nach außen; sie fließt jedoch nicht maßgeblich in die handlungsleitenden Orientierungen der pädagogischen Akteure ein. Weder explizit noch implizit kam dem Thema in den Interviews und Gruppendiskussionen eine zentrale Bedeutung zu. Obwohl mehrheitlich davon ausgegangen wurde, dass pädagogisches Handeln erfolgreich geleistet werden kann, wurde die Verbesserung der Bildungschancen von Kindern nicht als vordringliches Ziel der untersuchten Schulen behandelt. Es wurde zwar kommuniziert, dass das eigene Handeln Kinder angemessen unterstützen könne. Ein substantieller Ausgleich von Bildungsbenachteiligungen war für die Akteure hingegen kein zentrales Thema. Überraschungen im Projektverlauf und bei den Ergebnissen: Die in der Projektkonzipierung gesichteten bundes- und landesweiten Schulstatistiken nach Organisationsform deuteten darauf hin, dass bestimmte Schulformen relativ häufig oder zumindest überhaupt vorzufinden wären, was sich allerdings nach genauerer und schulkonkreter Recherche als lediglich formale Zuordnung herausstellte. So gab es nur sehr wenige Halbtagschulen ohne Angebote (wie AGs oder Hausaufgabenbetreuung nach dem Unterricht), die bundesweiten Statistiken wiesen aber 47,2% ganztägige Grundschulen und damit im Umkehrschluss 52,8% Halbtagschulen aus (bundesweit aktuelle Statistik zum Projektstart der KMK 2013, 4). Auch die Recherche von Ganztagsgrundschulen gestaltete sich komplexer als erwartet, da die landes- und bundesweiten KMK-Kriterien uneinheitlich sind und die Kategorisierung der Organisationsform (gebunden, teilgebunden, offen) teils weder den bundesweiten noch den landesweiten Kriterien für Ganztagsschulkonzepte genau entsprachen. Wir erwarteten ferner Schwierigkeiten, gemeinsame Termine zwischen Lehrkräften und dem weiteren pädagogisch tätigem Personal zu vereinbaren, da in der Regel Unterricht und Angebote zeitlich dicht aufeinander folgen und somit entweder die eine oder die andere Personalgruppe aktiv mit der Schülerschaft beschäftigt ist. Allerdings wurden dafür – dankenswerterweise – intern Vertretungen, Zusammenlegungen von Gruppen o. Ä. organisiert, so dass die akteursgruppenheterogenen Gruppendiskussionen realisiert werden konnten. Spannend war in den heterogenen Gruppendiskussionen inhaltlich, dass teilweise erstmals ein gemeinsamer Austausch der Akteure erfolgte und stellenweise zum Informationsaustausch, zu Fallbesprechungen oder zum Austausch über Prozesse und bestimmte Themen genutzt wurde. Auch unser zentrales Ergebnis, nämlich die untergeordnete Relevanz des Topos ‚Bildungsbenachteiligung‘ für die Prozesse und Herausforderungen der konkreten Praxis, überraschte uns.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2015). Die Moral der Ganztagsschule. Zur Begründung ganztägiger Erziehung zwischen Playstation und Schulordnung. In: Neue Praxis. Heft 6, 626-641
    Buchna, J., Coelen, T., & Dollinger, B., & Rother, P.
  • (2015). Elternaufgaben ergänzen oder ersetzen? Eltern im Blick pädagogischer Akteure in Ganztagsgrundschulen. Zeitschrift für Grundschulforschung, Heft 8/2015/1, 65-79
    Buchna, J., Rother, P., Coelen, T., Dollinger, B., & Hildebrandt, Z.
  • (2015). Neue Problemarbeit? Konstruktionen von ‚Bildungsbenachteiligung’ in Halbtags- und Ganztagsschulen. Soziale Probleme, Heft 1/2015
    Buchna, J., Coelen, T., Dollinger, B., & Rother, P.
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1007/s41059-015-0001-0)
  • (2016) Normalisierte Hierarchie in Ganztagsgrundschulen. Empirische Befunde der Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften und weiterem pädagogisch tätigem Personal. Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation (ZSE), 36 (3), 283-299
    Buchna, J., Coelen, T., Dollinger, B., & Rother, P.
  • (2017) Abbau von Bildungsbenachteiligung als Mythos? Orientierungen pädagogischer Akteure in (Ganztags-)Grundschulen. Zeitschrift für Pädagogik, 63 (4), 416-436
    Buchna, J., Coelen, T., Dollinger, B., & Rother, P.
 
 

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