Osteuropaforschung in der Zweiten Polnischen Republik. Zum Verhältnis von Politik und Wissenschaft.
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Gegenstand der Untersuchung ist die Institutionalisierung und paradigmatische Ausrichtung der Osteuropaforschung im modernen polnischen Staat. Dabei wird nach der Ausdifferenzierung des Faches genauso gefragt, wie nach seiner gesellschaftlichen und politischen Wirksamkeit. Der Bearbeiter hat die vorliegende internationale Forschungsliteratur erfasst und bearbeitet. Dabei konzentrierte er sich auf folgende Forschungsbereiche: Geschichte der Historiographie, Politisches Denken, Wissenschaftsgeschichte, Universitäts- sowie Institutionsgeschichte, Sowjetologie, Personen, Ostpolitik. Darüber hinaus wurden die zeitgenössische Forschungsliteratur zu Osteuropa gesichtet und analysiert und die Bestände von Archiven in Warschau und Wilna genutzt. Der Bearbeiter fand in den Institutionen der Nikolaus Kopernikus Universität in Torun (UMK) optimale Arbeitsbedingungen und ein intellektuelles Umfeld, das den Austausch auf hohem Niveau und die Veranstaltung von internationalen Seminaren und Konferenzen ermöglichte, wo spezielle Probleme des Forschungsgegenstandes zur Diskussion gestellt wurden. In den Forschungen erwies sich der Gegenstand als noch diffiziler als ohnehin schon angenommen. Ein Befund, der dem Bearbeiter in den Konsultationen mit bestimmenden Fachleuten immer wieder bestätigt wurde. Daraus ergab sich die Notwendigkeit einer Erweiterung der in der vorgelegten Konzeption bereits berücksichtigten Problemstellungen um die diskursive Behandlung des Osten auch außerhalb des unmittelbaren akademischen Umfeldes im Grenzbereich zwischen Politik und Wissenschaft, sowie um die Rezeption und Perzeption polnischer Osteuropaforschung, um schlüssige Antworten auf die Fragen nach dem internationalen Stellenwert des Wissenschaftsstandortes Polen in der Zweiten Republik zu erhalten. Die bisherigen Erkenntnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Osteuropaforschung differenziert sich in der Zweiten Republik stark aus. Zunächst dominiert die traditionell ausgerichtete Russlandforschung, die sich an den Leitbildern der zivilisatorischen Fremdheit und Feindschaft orientiert und stark geschichtsphilosophisch geprägt ist. - Gegen dieses tradierte Paradigma wird zunehmend polemisiert, woraus sich ein Diskurs entwickelt, der sich von Russland löst und eine gesamteuropäische Perspektive auf die osteuropäische Geschichte und die strukturelle Gliederung Europas entwickelte. Andererseits sind es Persönlichkeiten verschiedener politischer Lager, die in Zusammenhang mit der Nationalitätenfrage wissenschaftlich fundierte Studien zu Problemen von Politik und Geschichte Osteuropas vorlegten. - Als eine weitere Stufe der Verwissenschaftlichung einer Osteuropaforschung entsteht Ende der 20er Jahre die Sowjetologie. Sie stellt den konsequentesten Bruch mit der traditionellen Osteuropaforschung dar. Sie bedient sich modernster Forschungsmethoden und ist für die Ausbildung einer eigenen international sich formierenden Forschungsdisziplin maßgebend. - Die Forschungen zu den Kresy und Litauen bilden ein eigenständiges Feld der Osteuropaforschung, das hochgradig nationalgeschichtlich gebunden ist und Tendenzen zu einer gewissen Vereinheitlichung der Entwicklung einer Ostmitteleuropaperspektive entwickelt. - Trotz sehr beachtenswerter Forschungsergebnisse zu Osteuropa, die internationalen Standards entsprechen oder sie sogar bestimmen entsteht bis 1939 keine als selbständige Disziplin innerhalb der polnischen Wissenschaftslandschaft anerkannte Osteuropaforschung oder Osteuropäische Geschichte, die den Großraum in seiner Komplexität und territorialen Differenziertheit erfasst. Die Forschungsergebnissen machen auf Desiderate aufmerksam, die sich vor allem auf die strukturellen Analogien und kommunikativen Brücken zwischen den Osteuropaforschungen in Deutschland und Polen beziehen. Hier ergibt sich ein innovatives Forschungsfeld, das mit dem methodische Ansatz des Transnationalen die Wahrnehmungen, Kommunikationsmuster und auch Verflechtungen ergründet, die durch die Einbettung in Forschungszusammenhänge zu paradigmatischen Gemeinsamkeiten geführt haben.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Between Science and Politics. Włodzimierz Bączkowski and the Polish Eastern Europe Research, in: CGS-studies, Vol. 6, Cambridge Scholers Press, Newcastle 2017
Ralph Schattkowsky
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Politics and Sciences. CGS-studies, Vol. 6, Cambridge Scholers Press, Newcastle 2017
Ralph Schattkowsky (ed.)
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Polnische Ukrainediskurse in der Zwischenkriegszeit, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropaforschung 66 (2017), Heft 2, S. 180-212
Ralph Schattkowsky