Der Einfluss von Top-down-Vorbereitung auf die bewusste visuelle Wahrnehmung von Objekten
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Eine grundsätzliche Diskussion innerhalb der kognitiven Psychologie betrifft die Frage, ob Aufmerksamkeit für bewusste visuelle Wahrnehmung notwendig ist. In vorliegendem Forschungsprojekt wurde bestimmt, wie die Erwartung bestimmte Reize oder Reizmerkmale zu sehen (sog. Top-down-Vorbereitung) die bewusste Wahrnehmung bestimmt und ob die Notwendigkeit von Aufmerksamkeitsressourcen für Bewusstsein von solchen Erwartungen abhängt. Dazu wurde zunächst untersucht, wie Vorabinformation über eine spezifische Objektkategorie die visuelle Detektion von anschließend dargebotenen Objekten beeinflusst. Solche Vorabinformationen führten dazu, dass Objekte, die mittels „Continuous flash suppression“ perzeptuell unterdrückt wurden, schneller sichtbar wurden. In einer Reihe von Experimenten wurde dieser Einfluss von Erwartungen auf die bewusste visuelle Wahrnehmung mittels weiterer experimenteller Paradigmen und für andere Reizkategorien, von einfachen orientierten Gittermustern bis zu Fotos von natürlichen Szenen, bestätigt. Die Ergebnisse zeigen, dass Top-down-Vorbereitung auf spezifische Objektmerkmale und Reizinhalte die visuelle Wahrnehmung dynamisch auf erwartete Objekte ausrichten kann und damit das Bewusstsein moduliert. Menschen scheinen also das zu sehen, was sie erwarten zu sehen. Darüber hinaus wurde mittels Dual-Task-Paradigmen festgestellt, dass solche inhaltsspezifischen Erwartungen ihren Effekt auf die bewusste Wahrnehmung unabhängig von räumlicher Aufmerksamkeit ausüben. Allerdings begünstigt räumliche Aufmerksamkeit auch die bewusste Wahrnehmung erwarteter Objekte. Dies deutet drauf hin, dass räumliche Aufmerksamkeit für bewusste Wahrnehmung notwendig ist und widerspricht damit Theorien, welche die Möglichkeit bewussten Wahrnehmens ohne Aufmerksamkeit postulieren. Schließlich wurde mittels Magnetoenzephalographie nachgewiesen, dass sich neuronale Repräsentationen von visuellen Reizen dynamisch der Erwartung des Beobachters anpassen: Ein und dasselbe verrauschte Bild wird, entsprechend einer aufgabeninduzierten Erwartung, im Gehirn entweder wie ein Bild eines Gesichts oder wie ein Bild eines Hauses verarbeitet. Diese Studien demonstrieren einen von räumlicher Aufmerksamkeit unabhängigen Top-down-Mechanismus der inhaltsspezifischen Erwartung und zeigen, dass solche Erwartungen einen starken Einfluss auf die bewusste visuelle Wahrnehmung und neuronale Reizverarbeitung ausüben.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2014). Neural processing of visual information under interocular suppression: A critical review. Frontiers in Psychology, 5, 453
Sterzer, P., Stein, T., Ludwig, K., Rothkirch, M., & Hesselmann, G.
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(2014). Own-race and own-age biases facilitate visual awareness of faces under interocular suppression. Frontiers in Human Neuroscience, 8, 582
Stein, T., End, A., & Sterzer, P.
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(2014). Unconscious processing under interocular suppression: Getting the right measure. Frontiers in Psychology, 5, 387
Stein, T., & Sterzer, P.
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(2015). Interobject grouping facilitates visual awareness. Journal of Vision, 15(8):10, 1-11
Stein, T., Kaiser, D., & Peelen, M. V.
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(2015). Priming of object detection under continuous flash suppression depends on attention but not on part-whole configuration. Journal of Vision, 15(3):15, 1-11
Stein, T., Thoma, V., & Sterzer, P.
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(2015, December 21). Privileged access to awareness for faces and objects of expertise. Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance. Advance online publication
Stein, T., Reeder, R. R., & Peelen, M. V.
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(2015, October 12). Content-specific expectations enhance stimulus detectability by increasing perceptual sensitivity. Journal of Experimental Psychology: General. Advance online publication
Stein, T., & Peelen, M. V.
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Perceptual expertise improves category detection in natural scenes. Psychonomic Bulletin & Review, February 2016, Volume 23, Issue 1, pp 172–179
Reeder, R. R., Stein, T., & Peelen, M. V.