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Sorge und Erziehung unter Beobachtung. Stationaere Mutter-Kind-Einrichtungen und die Formierung von Mutterschaft im Kontext des Kinderschutzes

Antragstellerin Dr. Marion Ott
Fachliche Zuordnung Bildungssysteme und Bildungsinstitutionen
Förderung Förderung von 2013 bis 2017
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 234140002
 
Erstellungsjahr 2018

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das ethnographische Forschungsprojekt ist an der Schnitstelle von sozialwissenschaftlicher Kindheits- und Geschlechterforschung mit sozialpädagogischer Institutionen- und Professionsforschung angesiedelt. Vor dem Hintergrund der verstärkten Kinderschutz- und Kinderförderpolitik, mit der elterliche Sorge- und Erziehungstätigkeiten zunehmend in das öffentliche Blickfeld gerückt werden, untersuchte es von Oktober 2013 bis November 2017 stationäre Muter-Kind-Einrichtungen der Kinder und Jugendhilfe. Diese Einrichtungen konstituieren ein Feld weitgehender pädagogischer Beobachtung und Bearbeitung der Lebensführung und der Erziehungsfähigkeit der betreuten Frauen als Müter. Ihr programmatisches Ziel ist es, die Erziehungsfähigkeit der Betreuten zu stärken und damit das Wohl des Kindes zu sichern. Vor dem Hintergrund, dass mit dem konkretisierten Kinderschutzauftrag (§ 8a SGB VIII) grundlegende Veränderungen für die Einrichtungen einher gingen, fragte das Projekt wie (müterliche) Erziehungsfähigkeit in sozialen Praktiken mit dem Kindeswohl relationiert wird. Es fokussierte die gemeinsame Arbeit der Beteiligten an der Erziehungsfähigkeit und untersuchte, wie Erziehungsverhältnisse organisiert und wie Normen müterlicher Sorge und Erziehung konstruiert und interaktiv verhandelt werden. Im Zentrum der Forschung stand die macht- und praxisanalytische Rekonstruktion von situierten Praktiken der Arbeit an der müterlichen Erziehungsfähigkeit und deren Institutionalisierung. Bezüglich des Kinderschutzes erweisen sich die Einrichtungen als Orte, an denen grundlegende Konflikte um die ‚richtige‘ Umgangsweise mit dem Kind und damit verbunden die ‚gute Muterschaft‘ ausgetragen werden, die institutionell angelegt sind. Die These, dass die Referenz auf das Kindeswohl die Betreuungspraktiken stark dynamisiert und dabei Zuschreibungen ‚riskanter Muterschaft‘ unter Referenz auf die Figur des ‚schutzbedürftigen Kindes‘ prozessiert werden, konnte in empirischen Analysen hinsichtlich einer gegenstandsbezogenen Theoriebildung differenziert werden. Die Ergebnisse wurden entlang folgender Schwerpunkte erarbeitet: 1. Die institutionelle Konzeption und Bearbeitung von Mütern als ‚Fälle der Hilfe‘ wurde entlang der Analyse programmatischer Dokumente rekonstruiert. 2. Praktiken der Vermitlung, Inszenierung und Darstellung von Normen guter Muterschaft wurden mit der programmatischen und institutionellen Konzeption der Maßnahmen relationiert. 3. Der praktische Einsatz des Kindeswohls wurde bezogen auf seine Funktionen und Effekte bei der Arbeit an der Erziehungsfähigkeit analysiert. 4. Die Beobachtung des Erziehungsverhältnisses wurde in raumtheoretischer Hinsicht untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass Muterschaft kaum allein biologisch oder rechtlich bestimmt werden kann, sondern in komplexen Formierungsprozessen als mehr oder weniger ‚gute‘ oder ‚riskante‘ Muterschaft hervorgebracht wird. Die Ergebnisse liefern eine differenzierte Beschreibung von Praktiken der (Re)Produktion heterogener Normen guter Muterschaft, die als normative Anforderungen abgelehnt, jedoch zugleich in normativen Konzepten aus Entwicklungspsychologie und Bindungsforschung transformierend aktualisiert werden. Die Norm(re)produktion vollzieht sich dabei weniger als Anpassung, sondern oft in reflektierten strategischen Positionierungen der betreuten Frauen zu ihrer institutionell vermitelten Kategorisierung. Die Ergebnisse tragen zu einer praxis- und institutionenanalytischen Rekonstruktion von Umgangsweisen mit dem Kinderschutz in Einrichtungen freier Träger bei. Sie können eine professionstheoretische Reflexion anstoßen, da sie folgende praktische Effekte des Kinderschutzes rekonstruieren: Erstens wird mit Clearing-Aufträgen eine Differenzierung der Kategorie der Adressatin entlang der Erziehungsfähigkeit angestoßen; zweitens wird eine innerhalb des Betreuungsverhältnisses zu bearbeitende Logik des Misstrauens etabliert; dritens werden Konflikte innerhalb des Betreuungsverhältnisses häufig auf das Kind(eswohl) verlagert, so dass sie als solche nicht mehr thematisierbar sind. Mit Blick auf das in Kindheits- und der Familienforschung diskutierte Thema einer Erziehung der Eltern durch Programme zu Schutz, Förderung oder Bildung von Kindern zeigte das Projekt, wie Normen guter Muterschaft mit solchen kindlicher Entwicklung verknüpft werden. Das bindungstheoretische Konzept der kindlichen „Signale“, das bei der Arbeit an der Erziehungsfähigkeit häufig vermitelt wird, erweist sich hierbei aufgrund seiner Uneindeutigkeit als probates Mitel einer unmitelbaren Erziehung von Frauen zu Müttern. In den Praktiken gehen damit objektivierende Inanspruchnahmen des Kindes einher, die diese Erziehung ermöglichen und im aktuell hegemonialen Wissen über die kindliche Entwicklung angelegt sind. In raumtheoretischer Hinsicht wurde rekonstruiert, dass Muter-Kind-Einrichtungen einen Beobachtungsraum konstituieren, in dem der Beobachtungsgegenstand (das Kind, seine Entwicklung/Gefährdung) auf Dimensionen ausgeweitet wird, die außerhalb des Beobachteten liegen. In den Muter-Kind-Einrichtungen wird diese Entgrenzung zugleich wieder auf die vergeschlechtlichte Sorgearbeit verengt. Die Analyse des in diesem Sinne produktiven Beobachtungsraums trägt zu der aktuellen Erforschung der Beobachtung von Kindern in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen bei, indem sie zeigt, wie bei der Beobachtung von Kindern unter Einbezug verschiedener Mitel (materieller Raum, Alltagsregularien, Wissen über die kindliche Entwicklung) ein differenzierender Blick auf Eltern und insbesondere Müter erzeugt wird.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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