Kritik als Praxis und Erfahrung. Deweys Pragmatismus und die postanalytische Rehabilitierung der Objektivität.
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Wissenschaft in ihrer modernen Form, wie sie sich seit dem 19. Jahrhundert sukzessive etabliert hat, stellt das traditionelle Selbst- und Weltverständnis auf die Probe. Eine besondere Herausforderung ist die Auffassung, dass in strittigen Fragen die Erfahrung das letzte Wort haben soll. Nicht die Autorität der Tradition, nicht das eigene Belieben, sondern die objektive Erfahrung sollte die Basis unserer Urteile sein. Wie aber kann dieser Einfluss der Erfahrung verstanden werden? Die Erfahrung soll zwei Forderungen auf sich vereinen, die – wie die philosophische Diskussion der Moderne gezeigt hat – tendenziell widersprüchlich sind: Sie soll das Denken normativ leiten, es also orientieren, und doch zugleich soll dieses Denken, bei allem Erfahrungsbezug, unabhängig und kritisch bleiben und das Erfahrene einordnen und reflektieren. Das Projekt diskutiert zwei Ansätze, die zu diesem Problem Stellung nehmen: Der sprachphilosophische Ansatz der sogenannten „postanalytischen“ Philosophie sowie der Ansatz zweier Klassiker des Pragmatismus (Dewey und Peirce). In der Analyse dieser Positionen wird sichtbar, dass das Problem der Erfahrung letztlich auf die Frage zurück führt, wie Kritik als rationale Selbstbestimmung verstanden werden soll. Es wird argumentiert, dass rationale Selbstbestimmung nicht ausschließlich am Modell sprachlicher Diskursivität und Kommunikation entwickelt werden kann. Sie erfordert darüber hinaus ein temporales Modell des Verstehens, dem zufolge das sich bestimmende „Selbst“ oder das „Subjekt“ der Kritik immer auch eine Projektion ist, ein Entwurf auf eine Zukunft, deren Wirklichkeit sich immer erst noch faktisch einstellen muss. Der moderne Erfahrungsbegriff drückt demnach eine ebenso modernes Selbstverständnis aus, das Selbstbezug konstitutiv durch die Erfahrung vermittelt denkt, in dem Subjektivität, Selbstbezug oder die ordnende Kraft der Sprache keineswegs bereits fraglos gegeben sind. Das Projekt trägt auf diese Weise dazu bei, den „postmodernen“ Topos der Subjektkritik neu zu perspektivieren. An die Stelle der schlechten Alternative zwischen einer vorgeblich „postmodernen“ Verabschiedung des Subjekts und der angeblich „modernen“ Verteidigung kritischer Rationalität tritt die Einsicht, dass Rationalität gerade nur dadurch kritisch sein kann, weil – und insofern – sie irreduzibel an die zeitliche Erfahrung und ihre Dynamik gebunden ist.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- 2014. „Language or Experience?–That’s not the Question: A Case for Reflexivity“ European Journal of Pragmatism and American Philosophy, 6, Nr. 2: 175–99
Volbers, Jörg
(Siehe online unter https://doi.org/10.4000/ejpap.320) - „Deweys humanistische Dezentrierung des Subjekts“. Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 39, Nr. 3 (2014): 227–51
Volbers, Jörg
- 2015. „Freiheit als Praxisform“. Deutsche Zeitschrift für Philosophie 63, Nr. 6
Volbers, Jörg
(Siehe online unter https://doi.org/10.1515/dzph-2015-0077) - 2015. „Theorie und Praxis im Pragmatismus und in der Praxistheorie“. In: Praxis denken, hrsg. von Thomas Alkemeyer, Volker Schürmann und Jörg Volbers, 193–214. Wiesbaden: Springer Fachmedien
Volbers, Jörg
- 2018. Die Vernunft der Erfahrung. Eine pragmatistische Kritik der Rationalität. Hamburg: Meiner Verlag, 356 Seiten
Volbers, Jörg
(Siehe online unter https://doi.org/10.28937/978-3-7873-3327-1)