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Politische Reformen und der Rückgang der Sterblichkeit: Eine Empirische Analyse der Schweizer Kantone von 1870-2000

Fachliche Zuordnung Wirtschaftspolitik, Angewandte Volkswirtschaftslehre
Wirtschafts- und Sozialgeschichte
Förderung Förderung von 2013 bis 2017
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 244446126
 
Erstellungsjahr 2018

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Forschungsprojekt untersucht den Zusammenhang zwischen der Einführung eines Proporzsystems und Verbesserungen der Gesundheit in der Bevölkerung am Beispiel der Schweizer Kantone, von denen 17 zwischen 1890 und 1950 das Proporzsystem einführten. Für die Analyse wurde eine neue Datenbasis erstellt, die Archivmaterial zur Sterblichkeit digitalisiert und mit detaillierten Informationen zu den politischen Institutionen, öffentlichen Ausgaben, dem Bildungssystem und anderen Charakteristika der Kantone verknüpft. Das Forschungsprojekt liefert fünf zentrale Ergebnisse: (1) der Übergang von einem Majorz- zu einem Proporzsystem erhöht die politische Partizipation der Bevölkerung und verändert die Zusammensetzung des Parlamentes. Vormals dominante Parteien verlieren an Einfluss; dafür wird die politische Position der in dieser Zeit aufkommenden Arbeiterklasse gestärkt. (2) Die Veränderungen in der politischen Beteiligung und Zusammensetzung des Parlaments spiegeln sich auch in den öffentlichen Ausgaben wider: wir finden einen starken Anstieg in den Ausgaben für öffentliche Bildung und das öffentliche Gesundheitswesen. Dagegen finden wir keine Evidenz für eine Ausweitung des Wohlfahrtsstaates: weder die Ausgaben für Renten und Pensionen noch für die Armenpflege steigen in diesem Zeitraum an. Ebenso sehen wir keine Effekte der Wahlrechtsreform auf die Gesamtausgaben oder –einnahmen eines Kantons, die Ausgaben für die kantonale Verwaltung oder die Gesamtausgaben der Gemeinden. (3) Der Übergang zum Proporzsystem verringerte die Sterblichkeit von Säuglingen und Kindern unter 14 Jahren im Durchschnitt um 14 Prozentpunkte. Da zwischen 1890 und 1950 die Säuglings- und Kindersterblichkeit um ca. 80 Prozent sank, kann die Wahlrechtsreform davon ca. 10-15 Prozent erklären. (4) Wir stellen fest, dass die mit dem Proporzsystem verbundenen Verschiebungen in den öffentlichen Aufgaben hin zu Bildung zu einem starken Rückgang an Infektionskrankheiten führten: für alle Infektionskrankheiten finden wir einen Rückgang von 10 Prozentpunkte; für Infektionskrankheiten, die insbesondere Kinder betrafen (wie Pocken, Scharlach oder Keuchhusten) finden wir sogar einen Rückgang von 14 Prozentpunkten. Dagegen finden wir keine Effekte für chronische Krankheiten (wie etwa Diabetes, Krebs oder Nephritis), für die medizinische Verbesserungen und Behandlungsmethoden erst nach 1950 bedeutsam wurden. Auch finden wir keine Effekte für Todesfälle aufgrund von Selbstmord, Unfällen, Drogen- oder Alkoholkonsum, da auch hier Behandlung bzw. Prävention vor 1950 noch in den Kinderschuhen steckten. (5) Wir untersuchen schließlich, welche von vier Mechanismen für die positiven Wohlfahrtseffekte des Proporzsystems verantwortlich sein können: die Verbesserung der Schulbildung in der Bevölkerung; die Verbesserung des Lebensstandards; die Verringerung der Ungleichheit durch Umverteilung und eine verbesserte Lage der Armen; und schließlich eine Verbesserung der öffentlichen Gesundheitspflege. Unsere Ergebnisse zeigen, dass einer verbesserten Schulbildung die wichtigste Rolle zukommen. Dagegen finden wir wenig Evidenz für eine allgemeine Verbesserung des Lebensstandards oder mehr Umverteilung in den Kantonen, die ein Proporzsystem eingeführt haben.

 
 

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