Sozialpädagogische Probleme in der Nachkriegszeit
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Forschungsprojekt widmete sich der Frage, welche sozialpädagogischen Probleme in der Nachkriegszeit (1945-1961) sich im Fachdiskurs abbildeten. Ziel war es, die gesellschaftlichen Konstruktionen sozialpädagogischer Probleme in interessensgeleiteten Akteurskonstellationen zu beleuchten. Weil keine der vorliegenden sozialkonstruktivistischen Problemtheorien eine „Blaupause“ für einen solchen Projektzuschnitt bietet – die klassischen Studien hierzu arbeiten nach Karrieremodellen, wobei die Untersuchen mit der gesellschaftlichen Anerkennung von Sachverhalten als soziale Probleme enden, neueren Studien, die die Reproduktion schon anerkannter Probleme rekonstruieren setzen mikrosoziologisch an – galt es darüber hinaus eine Forschungsheuristik zu entwickeln und am empirischen Gegenstand auf ihre Nützlichkeit hin zu prüfen. Im Ergebnis bestanden die von uns rekonstruierten sozialpädagogischen Problemkonstruktionen aus a) den sozialpädagogischen Problemen „Jugendnot“, „Jugendverwahrlosung“, „Unerziehbarkeit“, „Schlüsselkinder und Halbfamilien“ sowie „Halbstarke“, b) den darauf bezogenen Problemlösungen „Reformen des Jugendwohlfahrtsgesetzes“, die „Verabschiedung von Jugendschutzgesetzen“ sowie des „Bundesjugendplans“ und den Innovationen „Heime der Offenen Tür“, „Jugendhilfswerke“, „Child Guidance Clinics“ und „Bewährungshilfe“ sowie aus c) Folgeproblemen (sekundäre Problemen) in Gestalt unzureichender materiellen Rahmenbedingungen, insbesondere in der Heimerziehung, sowie mangelnder Qualifikation des Fachpersonals in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Wie mit den vorgelegten Projektpublikationen belegt, haben sich die von uns vorgenommenen Theorieadaptionen sowie die entwickelten Methoden und Verfahren im empirischen Material bewährt: Es war uns möglich, die Reproduktion des Sozialpädagogischen Problems (Singular) durch die Reproduktion schon anerkannter und die Produktion neuer sozialpädagogischer Teilprobleme (oder Problemtypen) zu analysieren. Damit ist die Methode grundsätzlich auch für andere bereits anerkannte Probleme anwendbar. In unserer empirischen Rekonstruktion des Jugendhilfediskurses sind wir auf eine Reihe von Befunden gestoßen, die für unser theoretisches Erkenntnisinteresse relevant sind; sie lassen sich in drei Kategorien zusammenfassen: (1) solche, die zu den Ergebnissen der Forschung nach Karrieremodellen passen. (2) Befunde, die mit unseren Modifikationen und Erweiterungen des Quellenzugriffs (Archivarbeit durch die Organisationsinterna von Akteuren als dritte Arena der Problematisierung erfasst und auf die beiden anderen Arenen Fachöffentlichkeit und politisch-parlamentarische Öffentlichkeit bezogen werden konnten) korrespondieren. So konnten wir verschiedene Varianten des Verhältnisses zwischen (fach-)öffentlichen und organisationsinterne Artikulationen identifizieren und damit Dinge, die beim üblichen Quellenzugriff der aktuell (und eben nicht historisch) angelegten Forschung nicht erfasst werden können. Und schließlich (3) Befunde, die noch einer endgültigen Klärung bedürfen, nämlich die Frage, ob es – wie bei der Jugendhilfeöffentlichkeit der Adenauer Ära der Fall – Akteuren (Problembearbeitungsorganisationen) im Feld gesellschaftlich anerkannter Probleme (anders als Akteuren, die für neue Probleme Anerkennung suchen) regelmäßig möglich ist, „ihr“ Problem auch ohne nennenswerte Gegen-Problematisierungen und mit „unvollständigen“ Problemkonstruktionen zu reproduzieren oder ob dies an Besonderheiten des gewählten Untersuchungsgegenstandes (insb. des Zeitraums) gelegen hat. Wir vermuten letzteres, was durch eine crucial-case-Studie zu prüfen wäre. Sollte es der sozialpädagogischen Fachöffentlichkeit, trotz ungünstiger Voraussetzungen (Widerspruch zum Zeitgeist, äußere Anfeindungen, was während der Reform-Ära ca. 1966-1974 der Fall war), dennoch möglich gewesen sein, mit unvollständigen Problemkonstruktionen erfolgreich Problemlösungen zu erreichen, dann wäre davon auszugehen, dass dies Problemlösungsorganisationen generell möglich ist.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2016): "Schlüsselkinder" in der Nachkriegszeit, in: neue praxis, 47. Jg., Heft 4, S. 320–334
Hammerschmidt, Peter/Hans, Anne/Oechler, Melanie/Uhlendorff, Uwe
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(2016): Forschungsnotiz: Kinder- und Jugendhilfe zwischen 1945-1961 – eine Rekonstruktion sozialpädagogischer Probleme, in: Forum Erziehungshilfen 22. Jg., Heft 2, S. 101–102
Anne Hans/Melanie Oechler
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(2017): "Jugend(berufs)not" in der Nachkriegszeit, in: Zeitschrift für Sozialpädagogik, 15. Jg., Heft 3, S. 273–289
Hans, Anne/Oechler, Melanie
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(2018): Die AWO im Jugendhilfediskurs der Nachkriegszeit. In: Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit. 69. Jg., Heft 2. S. 101-110
Hans, Anne
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(2019): Heimerziehung in der Adenauer Ära - Über die Heimreformdiskussionen und Reformblockaden, in: neue Praxis, 49. Jg., Heft 1, S. 22–36
Hammerschmidt, Peter/Hans, Anne/Oechler, Melanie/Uhlendorff, Uwe
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(2019): Sozialpädagogische Probleme in der Nachkriegszeit, Weinheim, Beltz Juventa
Hammerschmidt, Peter/Hans, Anne/Oechler, Melanie/Uhlendorff, Uwe
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(2020) Probation und Soziale Gruppenarbeit als Hilfen für verwahrloste und gefährdete Jugendliche – Modellprojekte in Frankfurt am Main in der Nachkriegszeit (1945- 1961. Zeitschrift für Sozialpädagogik 18 (2) 199 - 219
Oechler, Melanie
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(2020) Sozialpädagogische Probleme in der Nachkriegszeit – Zum Fachdiskurs der Jugendhilfe 1945-1961 in problemsoziologischer Perspektive. Zeitschrift für Sozialpädagogik 18 (1) 84-101
Hammerschmidt, Peter/Hans, Anne/Oechler, Melanie/Uhlendorff, Uwe
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Von der „Jugendnot“ zur „Jugendsozialarbeit“ – Von einem sozialen Problem in der Nachkriegszeit zu einer sozialpädagogischen Problemlösung, in: Von der paternalistischen Fürsorge zu Partizipation und Agency : der gesellschaftliche Wandel im Spiegel der So
Melanie Oechler