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Globale Optimierung reaktiver Kraftfelder

Fachliche Zuordnung Theoretische Chemie: Elektronenstruktur, Dynamik, Simulation
Anorganische Molekülchemie - Synthese, Charakterisierung
Organische Molekülchemie - Synthese, Charakterisierung
Förderung Förderung von 2013 bis 2018
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 245894149
 
Erstellungsjahr 2018

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Reaktive chemische Vorgänge passieren auf Zeitskalen, die von wenigen Femtosekunden (1 fs = 10^-15s, Photochemie) bis zu Millisekunden (Biochemie) reichen. Ebenso kann die Anzahl der direkt und indirekt beteilgte Atome von einigen wenigen bis zu vielen Tausenden variieren. Die heutigen Hard- und Softwareressourcen reichen aus, um schnelle Reaktionen kleiner molekularer Systeme mit ab-initio-Molekulardynamik zu simulieren (klassisch-mechanische Dynamik für die Bewegung der Atome, während gleichzeitig die Kräfte zwischen den Atomen über eine quantenmechanische Behandlung der Elektronen berechnet wird). Langsame Reaktionen großer Systeme bedürfen jedoch einer vereinfachten Behandlung: Wenn man die Kräfte zwischen den Atomen nicht aus einer expliziten Berechnung des Verhaltens aller Elektronen gewinnt, sondern aus einer einfachen Funktion (Kraftfeld), in die lediglich die Arten und die Positionen der Atome eingehen und die Elektronen gar nicht mehr explizit vorkommen, wird die Simulation um vier bis sechs Größenordnungen schneller bzw. entsprechend längere Zeiten und größere Systeme werden erfaßbar. Vor solchen Kraftfeldsimulationen muß man jedoch einmalig für die freien Parameter in der Kraftfeldfunktion mit Hilfe quantenchemischer Referenzrechnungen geeignete Werte ermitteln (Parametrisierung). Viele Biochemie-Kraftfelder erlauben keine Reaktionen (Bruch/Bildung kovalenter Bindungen), weil die verwendeten, sehr einfachen Kraftfeldfunktionen dies nicht zulassen. Prinzipiell können Kraftfelder jedoch durchaus Reaktionen darstellen, wenn man sie allgemeiner und aufwendiger gestaltet. Bei solchen reaktiven Kraftfeldern wird die Parametrisierung jedoch erheblich schwieriger, weil die Kraftfeldfunktionen komplizierter aufgebaut sind und die Parameterwerte stärker voneinander abhängen. In diesem Projekt haben wir fortgeschrittene Optimierungsverfahren (Genetische bzw. Evolutionäre Algorithmen) auf die Parametrisierung des weit verbreiteten reaktiven Kraftfelds ReaxFF angewandt. Wir haben dafür effiziente und zuverlässige Prozeduren entwickelt und deren Erfolg an mehreren Beispielsystemen aus der Photochemie und der Mechanochemie überprüft. Bis dato war die ReaxFF-Parametrisierung erfahrenen Experten vorbehalten. Mit unserem neuen Zugang ist es nun auch für Wissenschaftler mit weniger ReaxFF- und Parametrisierungserfahrung möglich, gute ReaxFF-Parametersätze für neue chemische Systeme zu erzeugen. Etwas Erfahrung und chemisches Verständnis ist jedoch nach wie vor nötig, um geeignete Referenzdaten auszuwählen. Bei den nicht-reaktiven Biochemie-Kraftfeldern ist es per Konstruktion klar, welche Referenzdaten nötig sind, um welche Kraftfeldparameter bestimmen zu können; dies beeinflußt andere Parameter zudem oft wenig bis gar nicht. Notwendigerweise ist jedoch bei reaktiven Kraftfeldern dieser Zusammenhang zwischen Referenzdaten und Parametern viel weniger klar und die gegenseitige Abhängigkeit der Parameterwerte viel stärker. Daher sind wir von unserer ursprünglichen Projektplanung abgewichen und haben einen neuen Zugang (EVB-QMDFF) zu reaktiven Kraftfeldern etabliert. Er zeichnet sich dadurch aus, daß bei den Referenzdaten nahezu keine freie Wahl mehr besteht; sobald festliegt, wie die Edukte und die Produkte einer Reaktion aussehen, liegt auch fest, welche Referenzdaten zur Parametrisierung eines EVB-QMDFF-Kraftfelds für diese Reaktion nötig sind. Daher konnten wir sogar eine vollautomatische Prozedur aufstellen, die für gegebene Edukte und Produkte ohne weitere Benutzereingriffe direkt das zugehärige EVB-QMDFF liefert. Daß dieser Kraftfeldzugang qualitativ und quantitativ sehr gut ist, konnten wir mit Berechnungen von Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten zeigen, die besser mit dem Experiment übereinstimmen als solche, die auf traditionelleren Wegen berechnet wurden. Der Preis dafür ist, daß ein solches EVB-QMDFF nur für die Reaktion genau dieser Edukte zu genau diesen Produkten gültig ist, während ein systemspezifisch angepaßtes ReaxFF eine große Vielzahl von Reaktionen ähnlicher Spezies gut darstellen kann. Durch Kopplungen mehrerer EVB-QMDFFs ist jedoch trotzdem eine breitere Gültigkeit erzielbar, was durch die automatisierte EVB-QMDFF-Erzeugung stark vereinfacht wird. Durch die Entwicklung dieser beiden komplementären Zugänge haben sich mit diesem Projekt großskalige reaktive MD-Simulationen und die Erzeugung der dafür nötigen Kraftfelder von einem Spezialforschungsgebiet für Experten deutlich mehr in ein allgemeiner zugängliches Standardwerkzeug gewandelt.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • “Approximate photochemical dynamics of azobenzene with reactive force fields”, J. Chem. Phys. 139 (2013) 224303
    Y. Li und B. Hartke
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1063/1.4837237)
  • “Global optimization of parameters in the reactive force field ReaxFF for SiOH”, J. Comput. Chem. 34 (2013) 2178-2189
    H. R. Larsson, A. C. T. van Duin und B. Hartke
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1002/jcc.23382)
  • “Efficient global optimization of ReaxFF parameters”, J. Comput. Chem. 36 (2015) 1550–1561
    M. Dittner, J. Müller, H. M. Aktulga und B. Hartke
    (Siehe online unter https://dx.doi.org/10.1002/jcc.23966)
  • “Reactive force fields made simple”, Phys. Chem. Chem. Phys. 17 (2015) 16715–16718
    B. Hartke und S. Grimme
    (Siehe online unter https://dx.doi.org/10.1039/c5cp02580j)
  • “A ReaxFF reactive force field for disulfide mechanochemistry, fitted to multireference ab-initio data”, J. Chem. Theory Comput. 12 (2016) 3913–3925
    J. Müller und B. Hartke
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1021/acs.jctc.6b00461)
  • “Cheap but accurate calculation of chemical reaction rate constants from ab-initio data, via system-specific, black-box force fields”, J. Chem. Phys. 147 (2017) 161701
    J. Steffen und B. Hartke
    (Siehe online unter https://dx.doi.org/10.1063/1.4979712)
 
 

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