Von den Grabhügeln der Herrscher zu den Nekropolen der Bürger: Moderne Funeralarchäologie im Dienste der Erforschung sozialer Stratifizierung und lokaler Identitäten im hellenistischen Pergamon und den Städten der Aiolis
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Gräber, Grabdenkmäler und Friedhöfe sind erstklassige Quellen für die Lebensverhältnisse antiker Menschen, ihr soziales und kulturelles Selbstverständnis und ihre Vorstellungen von Tod und Jenseits. Dabei sind Gräber und Nekropolen kein Spiegel des Alltags, sondern unterliegen eigenen Wertvorstellungen und sind mit spezifischen Gebräuchen verbunden, die komplementäre Informationen für die Rekonstruktion sozio-ökonomischer Verhältnisse, kultureller Traditionen und mentaler Dispositionen liefern. Um so überraschender ist es, daß diese Quelle in der Erforschung der antiken Metropole Pergamon, die über mehrere Jahrhunderte (2. Jh. v. – 3. Jh. n. Chr.) zu den wichtigsten urbanen Zentren im westlichen Kleinasien zählte, bislang kaum genutzt wurde. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Neben der Plünderung und Überbauung antiker Gräber spätestens seit der byzantinischen Epoche fehlten bis vor kurzem noch geeignete Methoden, um die für Pergamon charakteristischen Großgrabhügel in einem angemessenen Verhältnis von Kosten und Nutzen zu untersuchen. An diesem Punkt hat das nun abgeschlossene Forschungsprojekt NekroPergEol angesetzt, das unter Einsatz moderner geophysikalischer Verfahren, die im Laufe des Projektes konstant verbessert wurden, den Grabhügeln im wahrsten Sinne des Wortes auf den Grund gegangen ist. Die Prospektionen durch eine Team der CAU Kiel wurden begleitet von punktuellen archäologischen Sondagen im Außenbereich des Tumulus Yığma Tepe, die einerseits zur Kontrolle der geophysikalischen Messungen und damit zur Verbesserung ihrer Interpretation dienten, andererseits zahlreiche neue Ergebnisse zur Konstruktionsweise des Grabhügels lieferten. In der Kombination aus Auswertung älterer Grabungsdokumentation, geophysikalischen Prospektionen und kleinräumigen Ausgrabungen ist es gelungen, den Aufbau des Hügels zu entschlüsseln und mehrere Punkte in seinem Inneren zu identifizieren, bei denen es sich um Einbauten wie z. B. Grabkammern handeln könnte. Um parallel dazu ein präziseres Bild von der Ausstattung der Gräber der pergamenischen Elite zu gewinnen, wurden zwei Beigaben-Ensembles aus Grabhügeln, die bereits zu Beginn des 20. Jhs. ausgegraben worden waren, mit einem breiten Spektrum archäologischer und archäometrischer Methoden untersucht. In diesem Projektbestandteil kam die Expertise der französisch geprägten Funeralarchäologie voll zum Tragen und hat wichtige neue Einblicke in Bestattungssitten an der Schnittstelle unterschiedlicher kultureller Traditionen erbracht. Die türkischen Projektpartner konnten schließlich ihre langjährige Erfahrung in der Erforschung der Landstadt Aigai südlich von Pergamon in der Aiolis einbringen, deren weitläufige Nekropolen sich frei von moderner Überbauung erhalten haben. Deren Untersuchung durch mehrere Surveys und exemplarische Ausgrabungen läßt den hohen Stellenwert lokaler Traditionen im Verhältnis zum Einfluß eines prägenden politischen und kulturellen Zentrums wie Pergamon erkennen. Somit ist es dem internationalen Projekt gelungen, die Funeralarchäologie im westlichen Kleinasien methodisch und inhaltlich wesentlich zu bereichern und Perspektiven für die Zukunft aufzuzeigen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2019) Pergamon – Bericht über die Arbeiten in der Kampagne 2017. Archäologischer Anzeiger 2018 (2) 109-192
Pirson, Felix
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Pergamon - Bericht über die Arbeiten in der Kampagne 2014. Archäologischer Anzeiger 2015/2, 89–179
F. Pirson u. a.
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Pergamon - Berichte über die Arbeiten in der Kampagne 2015. Archäologischer Anzeiger 2016/2, 135–223
F. Pirson u. a.
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NekroPergEol 2016 – Oberflächenuntersuchungen in den Nekropolen der aiolischen
Polis Aigai, eForschungsberichte des DAI, 2017/2, 168–172
U. Kelp