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Die Bedeutung von Judentum und Konfessionalität für die Geschichte der Ägyptologie im deutschsprachigen Raum im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert

Antragsteller Dr. Thomas Gertzen
Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Religionswissenschaft und Judaistik
Wissenschaftsgeschichte
Förderung Förderung von 2014 bis 2016
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 247000922
 
Erstellungsjahr 2017

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Angesichts des von Olaf Blaschke so benannten „2. Konfessionellen Zeitalters" im Deutschland des ausgehenden 19. Jahrhunderts und des zu dieser Zeit gleichfalls erstarkenden Antisemitismus kann eine Beeinflussung der Fachgeschichte der Ägyptologie durch konfessionelle Faktoren grundsätzlich nicht verwundern, wenngleich diese in der Projektpublikation erstmals grundlegend untersucht worden ist. Anders aber als die Nachbardisziplin der Assyriologie/Altorientalistik, welche durch die sogenannte „Babel-Bibel"-Kontroverse (1902) unmittelbar in gesellschaftliche Auseinandersetzungen zur Religion verwickelt wurde, und die etwa zeitgleiche ägyptologische Forschung v.a. im angelsächsischen Sprachraum, hat sich die deutschsprachige Ägyptologie in ihren Forschungsdiskursen religiösen Fragestellungen gegenüber eher distanziert verhalten. Eine Parteinahme in theologischen oder religionswissenschaftlichen Debatten wurde zugunsten einer Orientierung an der „historisch-philologischen" Methodik der klassischen Altertumswissenschaften vermieden. Die Konfessionszugehörigkeit einzelner Gelehrter jedoch konnte erheblichen Einfluss auf deren Karriereverläufe haben und so die Fachgeschichte unmittelbar beeinflussen. Wichtig dabei hervorzuheben ist, dass im Zuge der konfessionellen Auseinandersetzungen des „Kulturkampfes" auch katholische Gelehrte von religiöser Diskriminierung im akademischen Betrieb betroffen sein konnten und ihre jüdischen Kollegen nicht erst durch die rassistische Gesetzgebung der Nationalsozialisten Nachteile erlitten haben. Der Umgang mit diesen Herausforderungen erfolgte im Einzelfall auf höchst unterschiedliche Weise: Selbstbehauptungswillen und Anpassungsleistungen müssen dabei vor dem individuellen Hintergrund der einzelnen Gelehrtenbiografie untersucht werden. Unterschiedliche Auffassungen zum eigenen oder fremden religiösen Bekenntnis spielen dabei ebenso eine Rolle wie außer-religiöse Faktoren, etwa ein ausgeprägtes Nationalbewusstsein, was ebenfalls überleitet zur Problematik nicht mehr nur religiös fundierter Judenfeindschaft, sondern rassistischen Antisemitismus. Die Untersuchung hat gezeigt, dass bei der Betrachtung einer „Zwergwissenschaft" (Hans-Josef Trümpener), wie der Ägyptologie, die differenziert von Nachbardisziplinen und zeitgleichen Entwicklungen im Ausland betrachtet werden muss, der individuellen Gelehrtenbiografie eine enorme Bedeutung zukommt. Dabei lassen sich durchaus — teilweise erstaunliche — Gemeinsamkeiten oder auch langanhaltende Kontinuitäten feststellen: So kann man „völkische" Konzepte bereits in den „Professorenromanen" von Georg Ebers (1837-1894) nachweisen; bilden die Bemühungen von Georg Steindorff (1861-1951), die Ägyptologie zu einer „völkischen" Wissenschaft zu machen, eine Entsprechung zur „Biologie der Juden" (Veronika Lipphardt); Antikatholizismus und Antizionismus können sowohl bei protestantischen Ägyptologen, als auch ihren „gebildeten Doppelgängern" (Uffa Jensen) vorkommen. Alle Ägyptologen jüdischer Herkunft (und nicht nur jüdischer Konfession) sind von den Auswirkungen der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland betroffen, doch auch dabei offenbaren sich ganz unterschiedliche Reaktionen. Eher bürgerlich, konservativ bis liberal geprägt, verstehen viele Ägyptologen zunächst den neuen „kulturellen Code" (Shulamit Volkov) des 20. Jahrhunderts nicht mehr. Entsprechend schwierig gestaltet sich daher auch die Einschätzung für den Bearbeiter. Dabei wird offensichtlich, dass eine isolierte Betrachtung konfessioneller Aspekte allein nicht ausreichend ist. Somit versucht die vorgelegte Untersuchung zwar einen bislang nur randständig behandelten Aspekt der Fach- und Wissenschaftsgeschichte in den Fokus zu rücken, versteht sich dabei aber als ein Beitrag zu einer dann wieder weiter gefassten und andere Gesichtspunkte aus den Bereichen u.a. der Wissenschafts-, Orientalismus- und Genderforschung berücksichtigenden Forschungsdiskussion.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • "To become a German and nothing but a German..." The role of Paul de Lagarde in the conversion of Egyptologist Georg Steindorff, in: Leo Baeck Institute Yearbook 60, 2015, 79-89
    Thomas L. Gertzen
  • Jean Pierre Adolf Erman und die Begründung der Ägyptologie als Wissenschaft, in: H. Simon (Hrsg.), Jüdische Miniaturen 180, Berlin 2015
    Thomas L. Gertzen
  • „ln Deutschland steht Ihnen Ihre Abstammung entgegen" - zur Bedeutung von Judentum und Konfessionalismus für die wissenschaftliche Laufbahn G. Steindorffs und seiner Rolle innerhalb der École de Berlin, in: S. Voss - D. Raue (Hrsg.), Georg Steindorff und die deutsche Ägyptologie im 20. Jahrhundert (Zeitschrift für Ägyptische Sprache Beihefte 5), Berlin 2016, 333-400
    Thomas L. Gertzen
  • Arbeit im Turm zu Babel, in: H. Simon (Hrsg.), Jüdische Miniaturen 197, Berlin 2017
    Thomas L. Gertzen, Wolf. B. Oerter, Nathaniel Julius Reich
  • Judentum und Konfession in der Geschichte der deutschsprachigen Ägyptologie, Europäisch-jüdische Studien Beiträge 32, Berlin 2017
    Thomas L. Gertzen
  • Wilhelm Leeser Spiegelberg (1870 - 1930). Der Ägyptologe hinter den Josephsromanen, Vaterstetten 2017
    Thomas L. Gertzen
 
 

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