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Die Dramaturgie des 'erlebnisorientierten' Museums - Eine Mixed-Methods-Studie zum Wandel von Distinktionsformen im Wechselspiel von Kulturangebot und Kulturaneignung

Fachliche Zuordnung Soziologische Theorie
Förderung Förderung von 2014 bis 2017
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 248999274
 
Erstellungsjahr 2017

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Forschungsprojekt erhob in einem Mixed-Methods-Design Daten auf zwei Ebenen mit vier Erhebungsinstrumenten: Auf der ersten Ebene wurde für verschiedene Museumstypen die Seite des "Kulturangebots" in den Blick genommen (13 leitfadengestützte Interviews mit Bezug zum Leitbild des Museums und zu den Haltungen und Umsetzungen von Leitungspersonen, zur Zielgruppenerweiterung und Erlebnisorientierung sowie zu Distinktionsgelegenheiten bzw. Inszenierungsweisen in der Ausstellungspraxis). Ergänzend wurden offene Beobachtungen im öffentlich zugänglichen Museumsraum eingesetzt (um soziomaterielle Konstellationen in den Blick zu nehmen, wozu neben Beschreibungen von Gebäuden, Klangkulissen oder Materialbeschaffenheiten auch emotionale Erfahrungen im Museumsraum gehören). Auf der Ebene der Kulturaneignung wurden zwei standardisierte Instrumente in Anlehnung an erste Auswertungen des qualitativ erhobenen Materials entwickelt (strukturierte Beobachtung, 1.946 Personen an 15 Beobachtungspunkten / standardisierte Befragung von Besucher/innen (n=350).Das Ziel der Verknüpfung bestand in erster Linie darin, verschiedene Aspekte der Fragestellung ergänzend zu einem komplexen Gesamtbild zusammenzuführen. Die Forschungsfragen richteten sich u.a. darauf, ob und inwiefern sich Museen hin zu einer zunehmenden Erlebnisorientierung gewandelt haben und was dies ggf. für Museen als Orte von Distinktion bedeutet. "Museumswandel": Alle von uns untersuchten Museumsleitungen berichteten im Interview von einem Wandel, der zentrale Charakteristika des Nachkriegsmodells öffentliches Museum betrifft. Es ließ sich keine kollektiv geteilte Erzählung über die Ausformungen des Wandels erkennen. Die Interviewten knüpften an sehr unterschiedliche Entwicklungen an u.a. an einen Wandel im Bildungssystem, auf dem Kunstmarkt, an neue Vermittlungsmöglichkeiten durch technischen Fortschritt oder an einen Kampf um Ressourcen. Allerdings konnte als Gemeinsamkeit der Beschreibungen ein Ökonomisierungsprozess rekonstruiert werden (Steigerung von Besuchszahlen, wettbewerbsförmige Einwerbung von Finanzmitteln/ Sponsorengeldern, Professionalisierungsnotwendigkeiten etc.). Die an ökonomischen Größen orientierten Zielsetzungen stehen dabei in einem ambivalenten Verhältnis zu einer Orientierung an der Besucherin und dem Besucher, die sich in verschiedenen Pädagogisierungsbemühungen der Häuser niederschlagen. Die Ausdifferenzierung organisationaler Tätigkeitsbereiche kann als eine Strategie gedeutet werden, die Ambivalenzen zwischen Ökonomisierung und Pädagogisierung zu lösen. "Erlebnisorientierung": Auf Basis der empirischen Daten konnten unterschiedliche Eventisierungsprofile von Museen und Haltungen zur Erlebnisorientierung sichtbar gemacht werden, die sich aus unterschiedlichen Ebenen zusammensetzen, darunter: a) Kontextualisierung und Affektansprache als Inszenierungsstrategie von Exponaten, die auf die Gelegenheit zum besonderen Erlebnis zielt, b) Aktivitätsoptionen/Aktivierung, c) Rhetorik von Individualität/Souveränität vs. Lenkungsstrategien, d) Klares Profil vs. Öffnungsanspruch unter ökonomisch-pädagogisch-politischem Druck. "Distinktionsformen": Wir unterscheiden in unserer Analyse zwischen "Distinktionsgelegenheiten" durch die Inszenierung der Ausstellung und ihres Rahmens und einem "Distinktionsverhalten" des Publikums. "Distinktionsgelegenheiten": Insbesondere, aber nicht ausschließlich in Kunstmuseen lassen sich auch heutzutage ‚klassische‘ Distinktionsgelegenheiten finden (elaborierte Sprache, Rekurs auf als bekannt vorausgesetzte Phänomene). Im Kontext ambivalenter Öffnungssignale finden zielgruppenspezifische Differenzierungen statt, womit – eher beiläufig als explizit – Schließungseffekte erzeugt werden. "Distinktionsverhalten": Ein Distinktionsverhalten unter Museumsbesucher/innen (als denjenigen, die die Schwelle zum Museum einmal überschritten haben) im Museum (nicht z.B. durch die nachträgliche Erwähnung im Gespräch mit anderen) ist empirisch weniger gut nachweisbar, als man es z.B. Bourdieus Konzept des sozialen Raumes (1997) gemäß annehmen könnte. Empirisch haben wir dies fundiert, indem wir gezeigt haben, a) dass es bereits stark auf den räumlichen Kontext und die Ausstellungsart sowie auf die konkrete Situation ankommt, wie deutlich man sich als Besucher/in überhaupt vor anderen inszenieren kann, b) dass manche Inszenierungsgelegenheiten (z.B. Mitmachstationen) nicht oder in diffuser Weise mit (vertikalen) statusmarkierenden Distinktionsgelegenheiten verbunden sind, c) dass Statusmarkierungen eng mit anderen Inszenierungsweisen (z.B. als gute Eltern) verbunden sind und schließlich d) dass zwischen Distinktionsabsicht und -wirkung unterschieden werden muss. Zudem hat sich gezeigt, dass relevante Einstellungen (z.B. eher erlebnis- oder werk-/informationsorientiert zu sein) nicht einhellig mit dem Bildungsgrad der Besucher/in korrelierten. Konzeptionell haben wir die Perspektive auf Distinktion daher um die Perspektive auf (situative) Inszenierungen im Sinne von E. Goffman erweitert, um Pluralisierungstendenzen berücksichtigen zu können. "Soziale Differenzierungen": Wir haben eine generelle, antagonistisch organisierte Logik von Über- und Unterordnungsverhältnissen rekonstruiert, die zur Schärfung von homogenisierten Gruppierungen beiträgt. Besonders relevant sind hier in einigen Kontexten die Pole weiblich und männlich (Deutung von Besucher/innenverhalten/geschlechtsspezifische Angebote). Neben Geschlecht ließ sich in unserem Material vorläufig auch die Differenz in "die" (fremd) und "wir" (eigen) rekonstruieren, wie in "hier" (Westeuropa) und "dort" (Rest der Welt). Stellenweise werden auch diskriminierende Beschreibungen vorgenommen, so z.B. im Zusammenhang mit "Asylanten" oder "unterprivilegierten Schichten".

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Das Ding mit dem Museum. In: Berli, Oliver; Reuter, Julia (Hg.): Dinge befremden. Essays zu materieller Kultur. Wiesbaden: Springer VS, S. 55-61
    Lengersdorf, Diana
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-658-10451-1_6)
  • Methodenplural erhobene Daten. Am Beispiel der Erforschung von Erlebnisorientierung in Museen, ln: Burzan, Nicole; Hitzler, Ronald; Kirschner, Heiko (Hg.): Materiale Analysen. Methodenfragen in Projekten. Wiesbaden: Springer VS, S. 95-110
    Burzan, Nicole
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-658-12614-8_6)
  • Methodenplurale Forschung. Chancen und Probleme von Mixed Methods, Weinheim, Basel: Beltz Juventa
    Burzan, Nicole
  • Methodenverknüpfungen zur Erforschung von Menschen im Museum. In: Hitzler, Ronald; Kreher, Simone; Poferl, Angelika; Schröer, Norbert (Hg.): Old School - New School? Zur Frage der Optimierung ethnographischer Datengenerierung. Essen: Oldib, S. 151-162
    Burzan, Nicole
  • Wenn Kunst zum Ereignis wird. Eine Kritik der ästhetischen Praxis erlebnisorientierter Museen. In: Kauppert, Michael; Eberl, Heidrun (Hg.); Ästhetische Praxis. Reihe: Kunst und Gesellschaft. Wiesbaden: Springer VS, S. 355-376
    Eickelmann, Jennifer
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-658-12896-8_16)
  • Eventisierung als Erscheinungsform hybrider Ereignisse? Konzeptionelle Überlegungen am empirischen Beispiel von Museen. In: Betz, Gregor J.; Hitzler, Ronald; Niederbacher, Arne (Hg.): Hybride Events. Zur Diskussion zeitgeistiger Veranstaltungen, Wiesbaden: Springer VS, 2017, pp. 219-231.
    Burzan, Nicole
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-658-16825-4_16)
  • Ist Nicht-Teilnahme per se (Selbst-) Ausschluss? Ein Plädoyer für differenzierte Sichtweisen auf Dynamiken und Akteure am Beispiel von Museumsbesuchen. In: Lessenich, Stephan (Hg.): Geschlossene Gesellschaften, Kongressband zum 38. DGS-Kongress 2016 in Bamberg.
    Burzan, Nicole, Lengersdorf, Diana
  • Menschen im Museum. Theoretische Perspektiven auf empirische Erkundungen. Sociologia Internationalis, Band 55. 2017, Heft 1, S. 1-26.
    Burzan, Nicole
    (Siehe online unter https://doi.org/10.3790/sint.55.1.1)
  • Stabilisierung von Routine. Praxistheoretische Erörterung und empirische Befunde zu mühsamen Ereignissen. In: Bath, Corinna; Meißner, Hanna; Trinkhaus, Stephan; Völker, Susanne (Hg.): Verantwortung und Un/Verfügbarkeit. Impulse und Zugänge eines (neo)materialistischen Feminismus. 2017, pp. 115-130.
    Lengersdorf, Diana
  • Zum Wandel von Raum- und Zeitstrukturierungen am Beispiel von Museen. Zeitschrift für Theoretische Soziologie (ZTS), Sonderband 4. 2017: „Raum und Zeit. Sozialtheoretische und gesellschaftstheoretische Perspektiven“, hg. von A. Henkel, H. Laux, R. Schützeichel. 2017, S. 171-187.
    Burzan, Nicole
  • Ein Versuch über die In-Bezug-Setzung unterschiedlicher Kategoriensysteme: Kirchen, Museen und Kaufhäuser im Kontext von Erlebnisorientierung. In: Burzan, Nicole; Hitzler, Ronald (Hg.): Typologische Konstruktionen - Prinzipien und Forschungspraxis. Wiesbaden: Springer VS, 2018, pp. 153-178.
    Eickelmann, Jennifer
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-658-21011-3_9)
 
 

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