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Wie Leseart, -entwicklung und -störungen die phonologische und semantische Verarbeitung beim Lesen beeinflussen: Studien mit Blickbewegungsmessung beim leisen und lauten Lesen mit Vergleichen zwischen lernenden, gehörlosen, LRS- und normalen Lesern unter Nutzung des chinesischen Schriftsystems.

Antragsteller Dr. Jochen Laubrock
Fachliche Zuordnung Allgemeine, Kognitive und Mathematische Psychologie
Förderung Förderung von 2014 bis 2017
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 251103812
 
Erstellungsjahr 2018

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Im vorliegenden Projekt haben wir unter Nutzung von Blickbewegungsmessung, Eigenschaften des chinesischen Schriftsystems sowie normaler und besonderer Populationen von Lesern gezeigt, dass Leser in Abhängigkeit von Aufgabenanforderungen ihre kognitiven Verarbeitungsressourcen flexibel zuteilen können. Eine Änderung der Ressourcenzuteilung kann global durch den Lesemodus (laut oder leise), aber auch lokal durch variierende Verarbeitungsschwierigkeit bedingt sein. Es wurden eine Reihe von Eyetracking-Laborexperimenten mit blickkontingenter Anzeigeveränderung zum Vergleich von lautem und leisem Lesen durchgeführt. An Stelle demnächst zu lesender Zielwörter standen zunächst semantisch oder phonologisch verwandte oder auch nichtverwandte Wörter; diese wurden erst in das Zielwort getauscht, wenn der Blick eine unsichtbaren Grenze überschritt. In anderen Versuchsdurchgängen (identische Vorschau) war das Zielwort dauerhaft zu sehen; der Vergleich der Blickbewegungsdauer auf dem Zielwort in verwandten, identischen und nichtverwandten Bedingungen erlaubt Rückschlüsse auf die Voraktivierung des Zielwortes durch verwandte Vorschauwörter. Wir fanden Belege dafür, dass beim lauten Lesen phonologische Information schneller und eher verarbeitet wird, während im Chinesischen beim leisen Lesen semantische Information priorisiert wird. Die Voraktivierung phonologischer Information scheint auf sublexikaler Ebene stattzufinden. Lautes Lesen ist allgemein langsamer als leises Lesen. Diese Kosten sind verursacht durch Anforderungen an Artikulation und die Koordination von Blick und Stimme–wegen begrenzter Arbeitsgedächtniskapazität darf der Blick der Stimme nicht zu weit vorauseilen. Weil die chinesische Schrift anders als unser Alphabet die Aussprache nicht direkt kodiert, sind die Kosten im Chinesischen noch einmal deutlich höher. Folgerichtig zeigen unsere Untersuchungen, dass die Wahrnehmungsspanne beim lauten Lesen im Chinesischen stärker reduziert ist als im Deutschen. In einer umfangreichen Studie zur Wahrnehmungsspanne konnte wir zudem zeigen, dass diese nicht nur global durch lautes Lesen, sondern auch lokal durch die Schwierigkeit des aktuell verarbeiteten Wortes reduziert wird. Was geschieht, wenn Ressourcen prinzipiell nicht nutzbar sind? In einem Experiment mit chinesischen gehörlosen Lesern fanden wir, dass diese semantische Vorverarbeitung sogar stärker nutzen als eine hörende Vergleichsgruppe. Es scheint, als habe in diesem Fall die Nicht-Nutzbarkeit phonologischer Information Vorteile, möglicherweise weil so nicht verschiedene Aspekte der Sprache gleichzeitig verarbeitet und koordiniert werden müssen. Ein weiteres Experiment zeigt, dass Gehörlose allerdings phonologie-artige Information der Zeichensprache durchaus zur Vorschau nutzen. Insgesamt zeigen die Ergebnisse dieses Projektes, dass Leser ihre kognitiven Ressourcen erstaunlich flexibel zuteilen können, um den Leseprozess situationsangemessen zu fördern. Selbst ein hoch automatisiertes Verhalten wie das Lesen profitiert von dieser flexiblen Ressourcenallokation.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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