Werte und Normen als Forschungsgegenstände und Leitbilder in der Kommunikationswissenschaft. Ein integrativer Forschungsansatz
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Wir normativ ist die Kommunikationswissenschaft? Wie kann man ihre Normativität messen und hat sie sich im Laufe der Zeit gewandelt? Mit diesen Fragen beschäftigte sich das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte wissenschaftliche Netzwerk „Werte und Normen als Forschungsgegenstände und Leitbilder in der Kommunikationswissenschaft. Ein integrative Forschungsansatz“. Es bestand aus 13 Nachwuchswissenschaftlerinnen, die gemeinsam eine mehrstufige qualitative und quantitative Inhaltsanalyse kommunikationswissenschaftlicher internationaler und deutschsprachiger Fachzeitschriftenaufsätze von 1970 bis 2014 (n=480) durchführten. Da Werte und Normen schwer reliabel codierbar sind und standardisierte Codierlisten für die Werte und Normen der Kommunikationswissenschaft fehlen und nicht sinnvoll wären, operationalisierte das Netzwerk Werte und Normen inhaltsoffen als Ausdruck von Sollensvorstellungen, die entweder einen gegenwärtigen Zustand bewerten (etwas ist gut oder schlecht) oder einen erstrebenswerten Zustand kennzeichnen (wie etwas in Zukunft ein sollte). Neben diversen Kontextvariablen auf Artikelebene erfasste die Inhaltsanalyse auf Ebene der Sollensvorstellung deren Inhalt, Subjekt und Objekt sowie mögliche Handlungsempfehlungen und deren Adressaten. Überraschend ist, dass 1. in mehr als vier Fünftel aller Artikel mindestens eine Sollensvorstellung formuliert wird. Die Kommunikationswissenschaft ist damit zweifelsohne normativ geprägt, wobei sich die Sollensvorstellungen deutlich häufiger auf die Zukunft richten als eine Bewertung der Gegenwart vorzunehmen. 2. das Fach selbstreferenziell ist, denn jede vierte Sollensvorstellung thematisiert Funktionen und Gütekriterien von Wissenschaftlern und Wissenschaft. Allerdings versäumen es die Autor*innen meist, für den Inhalt der Sollensvorstellungen einen Verantwortlichen (Subjekt) und einen Nutznießer (Objekt) zu benennen. Somit bleibt offen, wer die Güte (kommunikations-)wissenschaftlicher Forschung sicherstellen soll und wer davon betroffen sein würde. 3. sich die Normativität der Kommunikationswissenschaft im Zeitverlauf kaum ändert: Das Fach war bereits 1970 normativ geprägt und ist dies nach wie vor. Gesellschaftliche und technische Umbrüche (wie der Zusammenfall des Eiserenen Vorhangs, die Dualisierung des Rundfunks oder die Digitalisierung der Medienlandschaft) erfordern zwar normative Positionierungen von der Kommunikationswissenschaft, führen aber nicht zu einem Anstieg von Sollensvorstellungen in Fachzeitschriftenaufsätzen. 4. zwischen den deutschen und internationalen Fachzeitschriftenaufsätzen keine signifikanten Unterschiede in der Häufigkeit und Formulierung der Sollensvorstellungen existieren. Beide Fachkulturen ähneln sich damit hinsichtlich ihrer Normativität. Die Befunde des wissenschaftlichen Netzwerkes wurden bereits und werden weiterhin auf deutschen und internationalen Fachtagungen präsentiert. Weitere deutsch- und englischsprachige Publikationen sind aktuell in Vorbereitung. Zudem wurden die Antragstellerinnen zu Arbeitskreisen eingeladen, um dort die Operationalisierung der Sollensvorstellungen sowie die zentralen Befunde der Inhaltsanalyse vorzustellen und zu diskutieren. Damit liefert das Netzwerk einen Betrag zur Selbstreflexion des Fachs und trägt zur Diskussion bei, wie bewusst es sich der eigenen Normativität ist.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2016). Werte normen, Normen werten. Theoretische und methodische Herausforderungen ihrer Analyse. In P. Werner, L. Rinsdorf, T. Pleil, & K.-D. Altmeppen (Hrsg), Verantwortung – Gerechtigkeit – Öffentlichkeit. Normative Perspektiven auf Kommunikation (S. 373–394). Konstanz: UVK
Riesmeyer, C., Zillich, A. F., Geise, S., Klinger, U., Müller, K. F., Nitsch, C., Rothenberger, L., & Sehl, A.
- (2016). Werte und Normen als Sollensvorstellungen in der Kommunikationswissenschaft – ein Operationalisierungsvorschlag. Publizistik, 61(4), 393–411
Zillich, A. F., Riesmeyer, C., Magin, M., Müller, K. F., Pfaff-Rüdiger, S., Rothenberger, L., & Sehl, A.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1007/s11616-016-0286-4)