Digitale Selbstvermessung. Eine empirische Analyse der reflexiven Selbstverwissenschaftlichung
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Forschungsprojekt „Digitale Selbstvermessung. Eine empirische Analyse der reflexiven Selbstverwissenschaftlichung“ untersucht aus soziologischer Perspektive die zunehmende Verwissenschaftlichung des eigenen Körpers und Alltags. Am empirischen Beispiel der ernährungsbezogenen Selbstvermessung zeigt die Studie, dass der epistemischen Unsicherheit der Gegenwartsgesellschaft alltagspragmatisch durch eine „reflexive Selbstverwissenschaftlichung“ begegnet wird. Die reflexive Selbstverwissenschaftlichung stellt eine für die moderne Wissenschaftsgesellschaft typische Form der Unsicherheitsbearbeitung dar: Laien verwissenschaftlichen zur Beantwortung individueller Handlungs- und Entscheidungsfragen ihr eigenes Alltagsleben und nehmen diesen Verwissenschaftlichungsprozess wiederum mit (mehr oder weniger) wissenschaftlich-technischen Mitteln unter die Lupe. Eine zentrale Rolle kommt in diesem Zusammenhang den digitalen Medien zu: Diese – so die These weiterhin – fungieren durch die inskribierte Quantifizierungslogik und Formelhaftigkeit im quasiexperimentellen Alltagsleben als Objektivitätsgeneratoren. Die Verwendung digitaler Medien hat insbesondere eine Replizierbarkeit des selbstexperimentellen Settings sowie eine Kontrolle und Disziplinierung des Forschersubjekts zur Folge. Zugleich erfordert die Herstellung neuer Erkenntnis jedoch ein spezifisches Maß an Subjektivität, das auf Seiten der (zum eigenen Körper und Alltag) Forschenden in besonderem Maße gegeben ist. Das der lösungsorientierten Bearbeitung epistemischer Unsicherheit dienliche Wissen wird demnach im Rahmen der reflexiven Selbstverwissenschaftlichung als experimentelles Wechselspiel von Objektivität und Subjektivität hergestellt. Das von expertisierten Laien produzierte Wissen-im-Werden stellt dabei eine fortlaufende Intervention ins Alltagsleben dar, die in der Anwendung permanent (selbst)experimentell auf die Probe gestellt wird. Zur Bearbeitung der für die Wissenschaftsgesellschaft charakteristischen epistemischen Unsicherheit stellen Laien demnach unter Rückgriff auf digitale Medien im selbstexperimentellen Vorgehen ein Wissen her, das in hohem Maße auf wissenschaftlich-technische Erkenntnisse rekurriert und sich zugleich in der fortlaufenden Intervention alltagspraktisch zu bewähren hat.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2016): Ernährungsbezogene Selbstvermessung. Von der Diätetik zum Diet Tracking. In: Duttweiler, Stefanie et al. (Hrsg.): Leben nach Zahlen. Self-Tracking als Optimierungsprojekt? Bielefeld, S. 123-140
Zillien, Nicole/ Fröhlich, Gerrit/ Kofahl, Daniel
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(2017): Ludwik Fleck und die ‚Verehrung der Zahl’ – Beitrag zu einer Soziologie der Quantifizierung. In: Endreß, M./ Lichtblau, K./ (Hg.): Zyklos –Jahrbuch für Theorie und Geschichte der Soziologie, Bd. 3, S. 15-51
Zillien, Nicole
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(2018): Die Geschichte medienbasierter Selbsttechnologien von Rousseau bis Runtastic. In: Gentzel, Peter/ Krotz, Friedrich/ Wimmer, Jeffrey/ Winter, Rainer (Hrsg.): Das vergessene Subjekt. Subjektkonstitutionen in mediatisierten Alltagswelten. Wiesbaden, S. 207-226
Fröhlich, Gerrit
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(2018): Medienbasierte Selbsttechnologien 1800, 1900, 2000. Vom narrativen Tagebuch zur digitalen Selbstvermessung. Bielefeld: transcript (Dissertation)
Fröhlich, Gerrit
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(2018): Reflexive Selbstverwissenschaftlichung. Eine empirische Analyse der digitalen Selbstvermessung. In: Mämecke, Thorben/ Passoth, Jan-H./ Wehner, Josef (Hrsg.): Bedeutende Daten. Wiesbaden, S. 233-249
Zillien, Nicole/ Fröhlich, Gerrit
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(2020): Digitaler Alltag als Experiment. Empirie und Epistemologie der reflexiven Selbstverwissenschaftlichung. Bielefeld: transcript
Zillien, Nicole