Erinnern und Verrechtlichen. Dynastiebildung bei den Grafen von Holstein-Schaumburg, Lippe und Waldeck (1300-1650)
Mittelalterliche Geschichte
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt ging der grundsätzlichen Frage nach, was überhaupt unter einer ‚Dynastie‘ zu verstehen ist und von wem sie unter welchen Umständen geschaffen wurde. Letztlich sind Dynastien das Ergebnis sozialer und kultureller Konstruktionsarbeit: Sie wollen überzeitlich erscheinen. Gerade aus diesem Grund sind die historisierende Dekonstruktion und die Untersuchung ihrer Genese vonnöten. Am Beispiel der Grafenhäuser Lippe und Waldeck wurde der Prozess der Dynastiebildung über einen langen Zeitraum vom Spätmittelalter bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts nachvollzogen. Obschon es sich dabei um keine zielgerichtete Entwicklung handelte, ließen sich gewisse Verstetigungsprozesse (Institutionalisierungen) identifizieren, die vor allem auf drei Praxisfeldern vonstattengingen: (1) der zunehmend formalisierten Weitergabe von Herrschaft und Besitz, (2) der bestimmten Regeln unterliegenden Heiratspolitik und dem Umgang mit nichtregierenden Verwandten sowie (3) dem Feld der symbolischen Repräsentation. Gerade die Kontrolle der in gemeinschaftlichem Besitz befindlichen Herrschaft war eine wichtige Triebfeder der Dynastiebildung, denn sie führte zur sozialen Abschließung des Verwandtschaftsverbandes, zu dessen Verstetigung über Generationen hinweg und schließlich auch zur Ausgestaltung des inneren Beziehungsgefüges. Als allgemeine Tendenz konnte zunächst die Agnatisierung des dynastischen Vermögens herausgestellt werden, die sich aus der zunehmend strengeren Handhabung des Ehegüterrechts und dem damit einhergehenden Ausschluss von Töchtern und Witwen ergab. Die Verteilung des Besitzes und insbesondere die Sukzession in der Herrschaft wurden auf einen immer kleineren Kreis rechtmäßiger Erben beschränkt. Gleichzeitig verstärkte sich der Gedanke, beides treuhänderisch für die kommende Generation zu bewahren. Zum Zweiten fand eine Verfestigung und Hierarchisierung der dynastischen Rollen statt, die Folge des Ausschlusses der nachgeborenen Söhne von der Herrschaft sowie der Kompensation durch rein monetäre Apanagen war. Die Kluft zwischen dem jeweiligen Dynastieoberhaupt und den übrigen, von ihm abhängigen Mitgliedern vergrößerte sich dadurch enorm. Beschleunigt wurde dieser Prozess durch den Ausschluss der Protestanten aus den Ämtern der Reichskirche seit dem Ende des 16. Jahrhunderts, was einen Bedeutungsverlust der nichtregierenden Verwandten zur Folge hatte. Aufgrund dieser Entwicklungen vermehrten sich die innerdynastischen Konflikte, die jedoch – drittens – immer häufiger vor Gericht ausgetragen wurden. Neben der allmählichen Nutzung der Reichsgerichte schlug sich die Verrechtlichung vor allem in einer hausvertraglichen Formalisierung von Normen sowie in der Implementation von Schlichtungsverfahren nieder. Um die soziale Integration zu stärken, förderte man darüber hinaus die Emotionalisierung der Dynastie durch neue Formen der Erinnerungskultur. Chroniken, Genealogien und heraldisch verzierte Grabdenkmäler waren nicht nur eine Anpassung an neue Formen der Herrschaftslegitimation, sondern auch eine Antwort auf die Krisen im Innern. Am Ende einer erfolgreichen Dynastiebildung stand daher vor allem die Tatsache, dass die Akteure wie selbstverständlich an die Existenz ihrer Dynastien glaubten, auch wenn sie sich keinesfalls immer normenkonform verhielten.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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„Große unruhe, newerung undt wiedrigkeit“. Das Grafenhaus zur Lippe zwischen konfessioneller Einheit und dynastischen Krisen (1548-1650), in: Lena Krull/Andreas Lange/Jürgen Scheffler (Hg.), Glaube, Recht und Freiheit. Lutheraner und Reformierte in Lippe, Bielefeld 2017, S. 125-137
Lennart Pieper
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Einheit im Konflikt. Dynastiebildung in den Grafenhäusern Lippe und Waldeck in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Diss. 2018
Lennart Pieper