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Spontane Revolution oder lange Wende? Eine soziologische Analyse der DDR und ihres Niedergangs auf Basis von Eingabenstatistiken zwischen 1970 und 1989.

Fachliche Zuordnung Empirische Sozialforschung
Förderung Förderung von 2014 bis 2021
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 267795588
 
Erstellungsjahr 2020

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Das Projekt erstellt eine Datei von „Eingabestatistiken“ und entwickelt ein Fragemodul für eine Retrospektivbefragung von Befragten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Bei den Eingabestatistisken handelt es sich um Zählungen von DDR-Behörden über Anzahl und Themen sog. Eingaben. Diese waren ein von der Verfassung vorgesehenes Mittel zur Kommunikation der Bürger mit den staatlichen Behörden. Für den Zeitraum von 1970–1989 enthält der „Postdam Grievance Statistics File“ (PGSF) Aggregatkennziffern über Ausmaß, Inhalt, Form, Addressat und Verfasser der Eingaben für 205 der insgesamt ca. 240 ehem. Landund Stadtkreise der DDR. Der PGSF ist über das Datenarchiv von GESIS erhältlich. Das SOEP-Modul richtet sich an alle SOEP-Befragten, die im Jahre 1989 18 Jahre oder älter waren. Es erfragt das eigene Erleben mit dem Eingabewesen in der DDR, sowie Erinnerungen an Lebenszufriedenheit, Partizipation, Mobilitätsverhalten, Flucht- und Repressionserfahrungen. Die Daten sind Bestandteil des SOEP, können aber auch getrennt bezogen werden. Auf Basis seiner Daten schätzt das Projekt die Anzahl der Eingaben, die DDR-Behörden im Schnitt pro Jahr erreichten auf ca. 600.000 und korrigiert damit bisherige Schätzungen deutlich nach unten. Die Zahl der Eingaben nahmen im Zeitverlauf von 1970-1989 kontinuierlich ab. Durchgängig bezog sich die große Mehrheit der Eingaben auf Wohnungsfragen. Nach Schilderung der Befragten des SOEP war ein weiterer thematischer Schwerpunkt die „ständige Ausreise“, die in den Statistiken der Behörden aber nicht auftauchen. Die Eingabendichte steigt tendenziell, wenn andere verfügbare Indikatoren (Selbstmordraten, Kindersterblichkeit, Wegzug aus dem Bezirk, Wohnungsbau, Lebenserwartung, Einwanderung in die DDR, Staatsausgaben, Import von Gütern aus dem nichts-sozialistischen Ausland) sinkende Lebensqualität erwarten lassen. Darüber haben die DDR-Bürger offenbar nicht aus Angst vor Repressionen auf das Schreiben von Eingaben verzichtet und es waren auch nicht die standhaftesten Anhänger der SED, die besonders häufig Eingaben schrieben. Als wichtigste Motive für das Schreiben von Eingaben nennen die Befragten des SOEP persönliche Belange und Interessen, sowie die Beseitigung konkreter alltäglicher Missstände. Das Projekt kommt daher zu dem (vorläufigen) Schluss, dass die Eingabestatistiken valide Evidenz über die Lebensqualität in der unmittelbaren Wohnumgebung enthalten. Eine Analyse der Exit-Voice-Dynamik (A. Hirschman) auf Basis der Eingabestatistiken zeigt, dass diese beiden typischen Reaktionen auf Unzufriedenheit mit einer Organisation nicht in einem negativen Verhältnis zueinander standen. Vielmehr zeigt sich, dass auch vor 1989 in der DDR der Anstieg von Ausreisen zu einer Erhöhung von Beschwerden nach sich gezogen haben. Dieser Befund steht gegenteiligen Aussagen von Hirschman entgegen und stützt die eine von Pfaff vorgelegte Modell-Variante.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • (2018). The Potsdam Grievance Statistics File. New Data on Quality of Life and Political Participation for the German Democratic Republic 1970–1989. Historical Methods 51(2), 92–114
    F. Class, U. Kohler und M. Krawietz
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1080/01615440.2018.1429970)
 
 

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