Öffentliche Auftragsvergabe als neue Arena industrieller Beziehungen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Mit der Durchführung öffentlicher Dienstleistungen werden zunehmend private Unternehmen beauftragt. Das Projekt hat untersucht, wie öffentliche Aufträge vergeben werden und inwieweit dabei versucht wird, gute Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten beauftragter Unternehmen zu gewährleisten. Inwieweit kann öffentliche Auftragsvergabe die zunehmenden Lücken im etablierten System industrielle Beziehungen (u.a. Tarifverträge) zu schließen helfen? Neben einer Analyse der Gesetzesentwicklung auf europäischer und nationaler Ebene bilden Fallstudien zur öffentlichen Auftragsvergabe auf kommunaler Ebene in Deutschland das Kernstück der empirischen Untersuchung. Dabei fokussiert die Studie auf zwei Branchen mit unterschiedlich stark fragmentierten und lückenhaften Interessenvertretungsstrukturen – Sicherheits-Dienstleistungen und Catering für Schulen. Damit widmet sich die Untersuchung Schauplätzen der Entscheidungsfindung auch jenseits der bekannten Welt der (Arbeits-)Marktregulierung. So sind gesetzliche Lohnvorgaben für öffentlich beauftragte Firmen vergleichsweise neue Instrumente, die darauf zielen, die zunehmend lückenhafte kollektive Selbstregulierung des Arbeitsmarktes zu unterstützen und zu ergänzen. Wichtige formelle und informelle Normen werden zudem auch außerhalb der Kernarenen politischer Regulierung und kollektiver Selbstregulierung gesetzt – in der administrativen Vergabepraxis, in der Rechtsprechung, und auch über die Herausbildung und Verbreitung professioneller Standards für die öffentliche Auftragsvergabe. Das Projekt untersucht dieses breite Geflecht an Normbildungsprozessen, mit denen der Bieterwettbewerb um öffentliche Aufträge gestaltet wird, und arbeitet heraus, wie diese durch widersprüchliche Trends geprägt werden. Es veranschaulicht so den Mehrwert einer Perspektive, die aktuelle Entwicklungen in demokratisch verfassten Marktwirtschaften als Resultat eines dauerhaften Nebeneinanders widersprüchlicher Trends zu verstehen sucht, anstatt allein die Triebkräfte und Effekte einer fortschreitenden Ökonomisierung der Gesellschaft nachzuzeichnen. So zeigt die Untersuchung bezogen auf die gesetzliche Entwicklung, wie es einerseits ab Ende der 1980er Jahre zu einer ‚Vermarktlichung‘, also einer forcierten Durchsetzung und Verdichtung von wettbewerbsschützenden Regeln kam; zeitgleich aber auch das Ringen um eine ‚Sozialpolitisierung‘ der Auftragsvergabe, also um den Stellenwert sozialer Ziele, begann. Die Analyse der jüngsten Gesetzesreformen kommt zu dem Ergebnis, dass diese den Konflikt zwischen Wettbewerbsschutz und sozialen Zielen nicht aufheben, sondern das Nebeneinander beider Prinzipien in der Auftragsvergabe dauerhaft institutionalisiert haben. Die administrative Vergabepraxis, die in der Untersuchung als Schauplatz des ‚street level market making‘ analysiert wird, steht damit vor der Herausforderung, widersprüchliche Zielvorgaben zu berücksichtigen und mit einer Vielfalt an Expertise- und Deutungsangeboten umzugehen. In den Fallstudien auf kommunaler Ebene lassen sich vielfach Lernprozesse erkennen, die auch im Bereich der ‚einfachen‘ Dienstleistungen wie Catering und Sicherheitsdienstleistungen weg von der Vergabe nach dem niedrigsten Preis führen. Stattdessen orientieren sich Verwaltungen stärker am Leitbild des ‚Guten Dienstleisters‘, der der Qualität der staatlichen Dienstleistungen größeren Wert beimisst. Diese qualitative Wende in der Auftragsvergabe liegt quer zu Vermarktlichung und Sozialpolitisierung. Bessere Arbeitsbedingungen sind keine automatische Begleiterscheinung der qualitativen Wende, sie schafft aber einige förderliche Voraussetzungen dafür. Die Analyse der Vergabepraxis bestätigt zudem die Annahme eines komplementären Verhältnisses von Auftragsvergabe und kollektiver Selbstregulierung. Ein Grundgerüst an kollektiver Selbstregulierung in der Sicherheitsbranche legt im Vergleich zum Schulcatering eine bessere Basis für kommunale Ansätze zur vergabespezifischen Arbeitsregulierung.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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2015: Öffentliche Auftragsvergabe – eine neue Arena der industriellen Beziehungen? Konzeptionelle Überlegungen und erste empirische Befunde. In: Industrielle Beziehungen 22 (3-4), S. 325-344
Jaehrling, Karen
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2018: Tackling precarious work in public supply chains: A comparison of local government procurement policies in Denmark, Germany and the UK. In: Work, Employment and Society 32 (3), pp. 546-563
Jaehrling, Karen / Johnson, Mathew / Larsen, Trine P. / Refslund, Bjarke / Grimshaw, Damian
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2020: Moving in and out of the Shadow of European Case Law – The dynamics of public procurement in the post‐post‐Rüffert era. In: JCMS Journal of Common Market Studies 58 (5), pp. 1165–1181
Refslund, Bjarke / Jaehrling, Karen / Johnson, Mathew / Koukiadaki, Aristea / Larsen, Trine Pernille / Stiehm, Christin
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Der Staat als ‚Guter Auftraggeber‘? Öffentliche Auftragsvergabe zwischen Vermarktlichung und Sozialpolitisierung (Open Acess). Wiesbaden: Springer VS, 2022, XIX, 413 S., ISBN: 978-3-658-38026-7.
Jaehrling, Karen / Stiehm, Christin