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Die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes in der Keilschriftliteratur: Die Interdependenz von göttlichem Willen und menschlicher Ethik als Basis monotheistischer Tendenzen in der Babylonischen Weisheitsliteratur

Fachliche Zuordnung Ägyptische und Vorderasiatische Altertumswissenschaften
Religionswissenschaft und Judaistik
Förderung Förderung von 2015 bis 2019
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 270534635
 
Erstellungsjahr 2020

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Über zwei Dutzend sumerisch-akkadischer Wörter verwiesen auf "Sünde", "Verbrechung" und "Tabu". Aber wenn man die genauen Nutzungen dieser Wörter in religiösen Texten betrachtet, fällt es auf, dass, obwohl diese Wörter sich auf die Verletzung von sowohl säkularen Gesetzen als auch sakralen Ordnungen beziehen, es fast unmöglich ist, die genaue Schwere dieser Vergehen zu bestimmen. Im Alten Orient beobachten wir keine bestimmte Korrelation zwischen der Schwere eines menschlichen Vergehens und der Heftigkeit der göttlichen Bestrafung; im Gegensatz zu "säkularen" Gesetzen folgte das göttliche Recht nicht dem lex talionis Prinzip (Auge um Auge, Zahn um Zahn). Die Mesopotamier glaubten anscheinend, dass ihre Götter alle Vergehen gegen säkulare und sakrale Ordnungen, unabhängig von ihrer genauen Beschaffenheit, in einer Gruppe klassifizierten und als "schlecht" oder "unrecht" bewerteten. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass sich die Begriffe nicht nur auf Vergehen sondern auch auf ihre Ergebnisse, also Bestrafung und Leiden, beziehen. Das heißt, dass die antiken Mesopotamier „menschliches Vergehen“ unabhängig von ihrer genauen Beschaffenheit mit "göttlicher Bestrafung" und "menschlichem Leiden" gleichgesetzt haben. Anscheinend sahen die antiken Mesopotamier Leiden als die natürliche Folge der Verletzung moralischer Werte. Es scheint, dass sich die antiken Mesopotamier vorstellten, dass die Taten, die als "Sünde", "Verbrechen" und "Tabu" bezeichnet wurden, bei den Göttern negative Gefühle, genauer Zorn und Abscheu, gegen die Täter ausgelöst haben. Diese negativen Emotionen verursachten eine göttliche Bestrafung der Sünder. Darüber hinaus wurden Übel, Elend und Leid von Menschen als göttliche Strafmaßnahme gegen ihre Frevel, Sünde, Verbrechung, antisoziale bzw. asoziale Tat, unethisches Verhalten usw. wahrgenommen. Es gibt aber auch eigene göttliche Bestrafung ohne Verweis auf göttlichen Zorn oder Abscheu. Im Alten Orient scheint es, dass menschliche Leiden nicht immer als göttliche Bestrafungen sondern auch als die selbständigen natürlichen Folgen von schlechten menschlichen Taten wahrgenommen wurden. Da diese Strafmaßnahmen vermutlich dem Naturgesetz folgten, sollte der Zorn Gottes oder seine Abscheu nicht genannt werden. Das Schuldbewusstsein der antiken Mesopotamier wurde nicht immer durch die Erkennung ihrer eigenen Sünde sondern durch die Nöte ausgelöst, die sie unterbewusst als die göttliche Strafe anerkannt haben. Aber dieser psycho-kognitive Mechanismus musste ein besseres göttliches Moralvermögen zur Voraussetzung haben, um langfristig aufrechterhalten und respektiert werden zu können. Sonst würden Menschen die Autorität der Götter anzweifeln und sie eines Tages verwerfen. Aber die antiken Mythen und Epen erzählen, wie die antiken mesopotamischen Götter einander getäuscht haben und sogar Enlil, der göttliche Herrscher, oder Enki/Ea, der Gott der Weisheit, fragwürdige Dinge getan haben. Sie waren auf keinen Fall moralisch perfekt. Wir finden einige keilschriftliche Erzählungen, die thematisch an das Hiob-Buch aus der hebräischen Bibel erinnern. In diesen Texten klagen ihre Protagonisten, dass, obwohl sie ständig ihre Frömmigkeit zu ihren Göttern gezeigt hatten, dass sie Nöte (also göttliche Vergeltung) leiden mussten. Daher fragen ihre Protagonisten, warum sie Nöte verdient haben. Interessanterweise erkennen sie aber später, dass sie nicht alle Kultordnungen richtig beachtet haben. Hier schlage ich vor, dass die Autoren der keilschriftlichen „leidender Gerechter“ Gedichten nicht beabsichtigten, das göttliche Moralvermögen infrage zu stellen, sondern seine Richtigkeit zu bestätigen. Diese Texte lehren, dass, obwohl man glauben mag, dass man sorgfältig alle Kultordnungen beachtet habe, man immer etwas hätte übersehen oder nicht beachten können; daher konnte man nie schuldlos sein. Aber man soll nicht verzweifeln; wegen der eigenen Frömmigkeit würden die Götter immer zu einem zurückkommen, um einen von seinem Leiden zu retten. Diese keilschriftlichen "leidender Gerechter" Texte plädieren im Grunde für unerschütterliche Frömmigkeit zu den Göttern (also blindes Vertrauen), die laut ihrem Glauben ihr Wohlergehen gewährleisten sollten.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • The Babylonian Theodicy: An Ancient Babylonian Discourse on Human Piety and Divine Justice, Religion Compass 9 (2015), 483–92
    T. Oshima
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1111/rec3.12188)
  • A Babylonian Marduk Prayer found at Ugarit (RS 94.2498), Ugarit Forschungen 47 (2016), 221–50
    T. Oshima
  • How “Mesopotamian” was Ahiqar the Wise?, in A. Berlejung, A. Maeir, and A. Schüle eds., Wandering Aramaeans: Aramaeans Outside Syria: Textual and Archaeological Perspectives, Wiesbaden, Harrassowitz, 2017, 141–67
    T. Oshima
    (Siehe online unter https://doi.org/10.2307/j.ctvckq4pm.14)
  • Nebuchadnezzar’s Madness (Daniel 4:30): A Reminiscence of an Historical Event or a Legend?, Ahituv, S., A. Baruchi-Unna, I. Eph’al, T. Forti, and J. Tigay eds., Now It Happened in Those Days: Studies in Biblical, Assyrian, and other ancient Near Eastern Historiography presented to Mordechai Cogan on his 75th Birthday, Winona Lake, IN, Eisenbrauns, 2017, 645–75
    T. Oshima
  • Divine Privilege to the Rich and Powerful? Seeking Healing of Illness by Presenting a Luxurious Gift (VAT 10122=KAL 3, no. 72), in: S.V. Panayotov and L. Vacín eds., Mesopotamian Medicine and Magic: Studies in Honor of Markham J. Geller, Leiden/Boston, Brill, 2018, 379–400
    T. Oshima with G. van Buylaere
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1163/9789004368088_019)
  • Morality and the Minds of Gods: Divine Knowledge and Human Ignorance in Mesopotamian Prayers and Didactic Literature, Hebrew Bible and Ancient Israel 6/4 (2018), 386–430
    T. Oshima
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1628/219222717X15235367195622)
  • Teaching Morality in Antiquity (Orientalische Religionen in der Antike 29), Tübingen, Mohr Siebeck, 2018
    T. Oshima mit S. Kohlhaas
    (Siehe online unter https://doi.org/10.1628/978-3-16-156481-9)
  • The King’s Godly Image as the Perfect Physiognomy of the Holder of the Kingship: Royal Ideology in the Neo-Assyrian Period, in A. Berlejung and J.E. Filitz, The Physicality of the Others: Masks from the Ancient Near East and the Eastern Mediterranean, (Orientalische Religionen in der Antike 27), Tübingen, Mohr Siebeck 2018, 231–59
    T. Oshima
  • “When the Godless Thrives and a Wolf Grows Fat”: Notions of the Prosperity of the Impious in Ancient Mesopotamian Wisdom Texts, in: T. Oshima mit Kohlhaas, Teaching Morality in Antiquity: Wisdom Texts, Oral Traditions, and Images, (Orientalische Religionen in der Antike 29), Tübingen, Mohr Siebeck, 2018, 189–215
    T. Oshima
 
 

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