Demokratisierung und neotraditionales Häuptlingtum. Eine vergleichende Untersuchung periurbaner Gebiete in Namibia und KwaZulu-Natal (Südafrika)
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Zentraler Gegenstand des Projektes ist, Demokratisierungsprozesse im südlichen Afrika im Blick auf die Institution des neotraditionalen Häuptlingtums zu untersuchen. Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stehen die Rolle neotraditionaler Einrichtungen und Akteure im Prozess der Demokratisierung und die Umgestaltungen in den lokalen und überlokalen Beziehungen des Häuptlingtums infolge von Demokratisierung – also der Beziehungen zwischen Häuptlingtum und postkolonialem Staat einerseits und neotraditionaler Gemeinschaft andererseits. Insgesamt zielt die Forschung darauf ab, Grundlinien einer Theorie neotraditionaler Herrschaft unter den Bedingungen von Demokratisierung auszuarbeiten. Als Hilfsmittel dient uns dabei eine Typologie neotraditionaler Herrschaft im gegenwärtigen Afrika mit zwei Merkmalen: 1) der Grad der Unabhängigkeit des Häuptlingtums von postkolonialer Regierung und Verwaltung und 2) die Ausprägungen lokaler Macht (in den Formen der Aktions-, instrumentellen, autoritativen, datensetzenden und symbolischen Macht) und Basislegitimität (Ordnungswert, Organisationsmacht, kulturelle Zugehörigkeit, überlegene Gewalt) des Häuptlingtums. Aus der Literatur zum afrikanischen Häuptlingtum und auf Grundlage unserer empirischen Forschungen lassen sich ein kolonialer Typus und drei Typen neotraditionaler Herrschaft unter den Bedingungen von Demokratisierung bilden, die sich in erheblichem Maße hinsichtlich der beiden Merkmale unterscheiden. Es handelt sich hierbei um das administrative, parastaatliche, klienteläre und konkurrenzielle Häuptlingtum. Der Vergleich der unterschiedlichen Typen neotraditionaler Herrschaft zeigt, dass das klienteläre Häuptlingtum durch ausgeprägte Abhängigkeit von postkolonialer Regierung und Verwaltung, geringer Basislegitimität und eng begrenzter lokaler Macht gekennzeichnet ist. Mehr als die klienteläre Variante stellt das konkurrenzielle Häuptlingtum ein überaus innovatives Beispiel für die speziell an der Schnittstelle von Stadt und Land zu beobachtenden institutionellen Transformationen dar, welche sich gegenwärtig unter den Bedingungen von Demokratisierung im Gegen-, Neben- und Miteinander von neotraditionalen, administrativen und parteipolitischen Akteuren entfalten. Im Gesamtspektrum neotraditionaler Herrschaft ist das konkurrenzielle Häuptlingtum in beträchtlicher Distanz zum klientelären Typus zu verorten und steht zwischen diesem und dem parastaatlichem Häuptlingtum: Es reicht nicht an die Akkumulation von Basislegitimitäten des letzteren heran, ist aber bedeutend mächtiger und legitimierter als der klienteläre Typus. Hinsichtlich der Unabhängigkeit von postkolonialer Regierung und Verwaltung ist das konkurrenzielle Häuptlingtum ebenfalls zwischen den Polen klientelärer versus parastaatlicher Herrschaft – und somit zwischen den Extremen von Abhängigkeit versus Unabhängigkeit – anzusiedeln. Das konkurrenzielle Häuptlingtum stellt somit eine bedeutende Kraft in der Ausdifferenzierung neotraditionaler Herrschaft im Zuge der Demokratisierung dar und ist wesentlicher Bestandteil des im gegenwärtigen Afrika zu beobachtenden Prozesses der Heterarchisierung politischer Ordnungen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2007) Die Topnaar Traditional Authority: Grenzen des Häuptlingtums in Namibia. In: Nachrichten der Wissenschaftlichen Gesellschaft Swakopmund 39(2): 12–19
Krämer, Mario
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(2009) Jacob Zuma, neotraditionales Häuptlingtum und die politische Zukunft Südafrikas. In: Katharina Inhetveen & Georg Klute (Hg.) Begegnungen und Auseinandersetzungen. Festschrift für Trutz von Trotha. Köppe: Köln; 122–139
Krämer, Mario
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(2009) The “Andersen Principle”: On the Difficulty of Truly Moving Beyond State-Centrism. In: Building Peace in the Absence of States: Challenging the Discourse on State Failure, Berghof Handbook Dialogue No. 8., hrsg. v. Martina Fischer, Beatrix Schmelzle. Berghof Research Center for Constructive Conflict Management: Berlin; 37–46
Trutz von Trotha
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(2009) Vom administrativen zum konkurrenziellen Häuptlingtum. Anmerkungen zur Legitimität und Transformation neotraditionaler Herrschaft in Namibia und KwaZulu-Natal, Südafrika. In: Sociologus 59(2): 173–198
Krämer, Mario
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(2010) Anpassung und Kreativität. Über afrikanische Variationen politischer Heterarchie. In: Sybille Frank & Jochen Schwenk (Hg.) Turn Over. Cultural Turns in der Soziologie. Festschrift für Helmuth Berking. Campus: Frankfurt a.M. / New York: 307–331
Trutz von Trotha & Mario Krämer