Ökomorphologie des Postcraniums der Rhinocerotidae aus der miozänen Fossillagerstätte Sandelzhausen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Die Extremitätenknochen der drei Nashornarten aus der miozänen Fundstelle Sandelzhausen wurden funktionsmorphologisch mit Hinblick auf die Anpassung an die damalige Umgebung untersucht. Unter den Funden sind Knochen von Hand und Fuß am häufigsten, während die Langknochen der Vorder- und Hinterextremitäten eher unterrepräsentiert sind. Die meisten Knochen fallen auf die kleinste Art (Prosantorhinus germanicus) ab, die eine vermeintlich semi-aquatische Lebensweise hatte. Etwas weniger häufig sind die Knochen der mittelgroßen Art (Plesiaceratherium fahlbuschi), und die Knochen der größten Art (Lartetotherium sansaniense) sind dabei eher selten. Aufgrund der Erhaltung und geringen Häufigkeit von Wirbeln und Rippen war es nicht möglich die Rippenkörbe der Nashörner zu rekonstruieren, um daraus Rückschlüsse auf eine mögliche semi-aquatische Lebensweise ziehen zu können. Das Verhältnis der Länge des Olecranon der Ulna zur Länge des Radius liegt bei allen drei Arten im Bereich des Verhältnisses des heutigen Breitmaulnashorns und spricht damit für eine terrestrische Lebensweise. Die Ausprägung der Fossa extensoria am Femur ähnelt bei Plesiaceratherium und bei Lartetotherium stark dem heutigen Panzernashorn und deutet damit ebenfalls auf eine terrestrische Lebensweise hin. Bei Prosantorhinus ist die Fossa nicht so deutlich ausgeprägt und ähnelt damit dem heutigen Flusspferd. Es ist davon auszugehen, dass die Sandelzhausen-Nashörner lange Beugesehnen an den Fingern besaßen, wie es auch beim Flusspferd und heutigen Tapiren und Nashörnern der Fall ist, was ein Überspreizen der Finger auf weichem Untergrund verhindert. Vorhandensein und Form der Sesambeine an den Metatarsalia der Sandelzhausen-Nashörner legen das Vorhandensein von zwei Musculi interossei je Zeh nahe. Dies haben heutige Flusspferde, Tapire und Nashörner ebenfalls gemeinsam. Damit hat sich im Projekt deutlich herauskristallisiert, dass heutige Nashörner, für die das Suhlen ein wichtiges Verhalten darstellt, im Skelett einige Anpassungen an das Medium Wasser zeigen. Diese Anpassungen sind bei Prosantorhinus ausgeprägter als bei Plesiaceratherium und Lartetotherium, aber Anpassungen an eine terrestrische Lebensweise und eine semi-aquatische Lebensweise halten sich ungefähr die Waage. Während bei den drei Arten ein Sexualdimorphismus an den unteren Schneidezähnen nachgewiesen wurde, ist dieser am postcranialen Skelett nicht erkennbar. Alle Knochen weisen ähnliche Abmessungen auf. Die Besonderheit zweier Handwurzelknochen bei Prosantorhinus führt bei einigen Individuen zu einer Versteifung innerhalb der Handwurzel, was Verletzungen beim Laufen auf weichem Untergrund vorbeugt. Es ist denkbar, dass diese Versteifung nur bei Männchen auftrat, die etwas schwerer als die Weibchen waren. Die Analyse des Lokomotionstyp anhand der Langknochen-Längen zeigte, dass alle drei Arten dem mediportalen Typ angehören. Mediportale Huftiere haben eine intermediäre Stellung zwischen laufangepassten (cursorialen) Tieren und graviportalen Tieren, die mit säulenartigen Beinen ihr hohes Gewicht tragen. In die Gruppe des mediportalen Lokomotionstyps gehören neben rezenten und fossilen Nashörnern auch Tapire und Flusspferde. Die Analyse der Knochenkompaktheit, dem Verhältnis der Fläche des kompakten Knochen zur Fläche der Markhöhle zeigt Werte im Bereich des heutigen Zwergflusspferdes. Diese Werte sind nicht nur bei den drei Arten aus Sandelzhausen zu finden, sondern auch beim pleistozänen Wollnashorn, das nachweislich terrestrisch gelebt hat. Die Ernährung des Wollnashorns von flachwachsenden Pflanzen mit gesenktem Kopf, konnte in einer Nebenanalyse, der Innenohrorientierung im Schädel, nachgewiesen werden. Für heutige Nashörner konnte so ebenfalls die unterschiedliche Kopfhaltung zwischen Laubfressern und Grasfressern mittels Innenohrorientierung nachgewiesen werden. Damit wurde eine zusätzliche Methode zur Bestimmung der Kopfhaltung und damit der Nahrungspräferenzen und Ökologie fossiler Nashörner entwickelt.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- 2016. Remarkable carpal bones in Prosantorhinus germanicus (Mammalia: Rhinocerotidae) from Sandelzhausen (Bavaria, Germany). In: Niebuhr, B., Wilmsen, M., Kunzmann, L. & Stefen, C., eds.), Fossils: Key to evolution, stratigraphy and palaeoenvironments, 135-136. Dresden
Schellhorn, R.
- Remarkable carpal bones in Prosantorhinus germanicus (Mammalia, Rhinocerotidae). - Journal of Vertebrate Paleontology, Program and Abstracts 2016: 219
Schellhorn, R
- 2017: Carpale IV and Intermedium of Prosantorhinus germanicus (Mammalia: Rhinocerotidae). - Münstersche Forschungen zur Geologie und Paläontologie 109: 77
Schellhorn, R.
- Two remarkable carpal bone positions in Prosantorhinus germanicus (Mammalia: Rhinocerotidae). - Journal of Vertebrate Paleontology, Program and Abstracts 2017: 190
Schellhorn, R.
- 2018: A potential link between lateral semicircular canal orientation, head posture, and dietary habits in extant rhinos (Perissodactyla, Rhinocerotidae). - Journal of Morphology 279 (1): 50-61
Schellhorn, R.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1002/jmor.20753) - Mediportal rhinoceroses from the Miocene Sandelzhausen locality (Germany). - Journal of Vertebrate Paleontology, Program and Abstracts 2018: 211
Schellhorn, R.
- Micro-computed tomography reveals head posture in Pleistocene rhinoceroses. - GeoBonn 2018, Living Earth - Abstracts: 233-234
Schellhorn, R.
- 2019: Inner ear orientation reflects head posture in the woolly rhino (Perissodactyla: Rhinocerotidae). - Journal of Vertebrate Paleontology, Program and Abstracts 2019: 18
Schellhorn, R.
- What was first: knob or facet on the Carpale 4 of Prosantorhinus germanicus from Sandelzhausen? - Paleo & Life - Abstracts of the 90th Annual Meeting of the Paläontologische Gesellschaft, Munich 2019: 131
Schellhorn, R.
- 2020: Palaeontological evidence reveals convergent evolution of intervertebral joint types in amniotes. - Scientific Reports 10 (1): 14106
Wintrich, T., Scaal, M., Böhmer, C., Schellhorn, R., Kogan, I., van der Reest, A. & Sander, P.M.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1038/s41598-020-70751-2)