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Falldarstellungen der gerichtlichen Psychologie: Konstitution, Transfer und Transformation von Fällen in unterschiedlichen Text-, Medien- und Wissensformen (1790-1840)
Antragsteller
Professor Dr. Nicolas Pethes
Fachliche Zuordnung
Germanistische Literatur- und Kulturwissenschaften (Neuere deutsche Literatur)
Wissenschaftsgeschichte
Wissenschaftsgeschichte
Förderung
Förderung von 2016 bis 2022
Projektkennung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 279036034
Das Projekt fragt nach der textuellen Form und epistemischen Funktion von Falldarstellungen in den verschiedenen Publikationskontexten der gerichtlichen Psychologie. Dabei geht es nicht nur - wie noch im Vorgängerprojekt zu den periodischen »Fall-Archiven« der Spätaufklärung - um die Bedeutung von Fallsammlungen für die Herausbildung neuer Wissensgebiete, sondern vor allem um die Frage, wie Falldarstellungen im Prozess der Konsolidierung der Gerichtspsychologie als Wissenschaft in verschiedene Publikationskontexte transferiert und dabei jeweils medien- und textsortenspezifisch transformiert werden. Das erste Ziel des Projekts ist es, die Konstitution der gerichtlichen Psychologie als hybride Disziplin zu rekonstruieren, die durch verschiedene konkurrierende Wissensgebiete und heterogene Erklärungsansätze beeinflusst wird. Hierzu gehört auch die Übernahme von Falldarstellungen aus psychologischen, medizinischen und juristischen Quellen, die im Projekt erschlossen und innerhalb gerichtspsychologischer Zeitschriften vom Ende des 18. Jahrhunderts bis an die Schwelle der Institutionalisierung der Psychiatrie in Deutschland um 1840 analysiert werden. Zugleich dient dieses Korpus periodischer Fallsammlungen als Materialgrundlage, auf die sich im Zuge der Etablierung der Gerichtspsychologie diverse Buchformate stützen. Das zweite Projektziel besteht daher darin, auf der Grundlage einer umfangreichen Erschließung und vergleichenden Analyse gerichtspsychologischer Falldarstellungen - in Zeitschriften, Monographien, Handbüchern, Lehrbüchern, Enzyklopädien sowie populären Kompendien von Kriminalfällen - den Transfer und die Transformation von Fällen in verschiedene Publikationskontexte sowie die Differenzierung ihrer jeweiligen epistemologischen Funktionen zu untersuchen. Auf der Basis einer solchen differenzierten Rekonstruktion von Falltransformationen kann die Ausbildung paradigmatischer Fälle innerhalb der Gerichtspsychologie beschrieben werden: Die Materialanalyse wird dabei sowohl die Genese »gesicherten« Wissens aus dem in der Wissenschaftsforschung seit Ludwik Fleck als vorläufig und fragmentarisch verstandenen Zeitschriftenwissen nachzeichnen als auch die Entstehung eines vermeintlich systematischeren Handbuchwissens einerseits, populäre Adaptionen sowie die Wechselwirkung gerichtspsychologischer Fälle mit literarischen Fallerzählungen andererseits verfolgen. Damit leistet das Projekt einen Beitrag zur Erforschung und Differenzierung von wissenschaftlichen Textsorten (»epistemic genres«) und schließt eine sowohl disziplinen- wie mediengeschichtlich zu konstatierende Lücke auf dem derzeit auch international intensiv vorangetriebenen Forschungsfeld zu Falldarstellungen in der Wissenschafts- und Literaturgeschichte.
DFG-Verfahren
Sachbeihilfen