Diktatorenendspiel. Theorie und empirische Analyse militärischen Handelns in autoritären Regimekrisen, 1946-2014
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Forschungsprojekt hat insbesondere in vier Bereichen einen wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt gebracht: 1. Es wurde ein differenziertes Konzept des Diktatorenendspiels entwickelt, das in der Lage ist, trennscharf zwischen verschiedenen Formen von autoritären Regimekrisen und Handlungsvarianten des Militärs analytisch zu unterscheiden und empirisch beobachtbar zu machen. 2. Es wurde ein entscheidungstheoretisches Erklärungsmodell von Militärhandeln in Diktatorenendspielen entwickelt, das die theoretischen Grenzen der bestehenden Ansätze angeht, zudem frühere Forschungsergebnisse in eine kohärente Argumentation integriert und dadurch sowohl den Theoriestand aufgreift als auch deutlich über diesen hinausgeht. Damit hat das Projekt einen genuinen theoretischen Beitrag zur vergleichenden Autokratien- und Streitpolitikforschung geleistet, der darüber hinaus anschlussfähig ist zu Theoriediskussionen in der Demokratisierungsliteratur. 3. In empirischer Hinsicht konnten insgesamt 40 Diktatorenendspiele in der Zeit zwischen 1946 und 2014 identifiziert und in Falldossiers detailliert dokumentiert werden sowie ein umfangreicher Datensatz an möglichen Erklärungsvariablen intra-militärischer, institutioneller, gesellschaftlicher und Art (den „Entscheidungsparametern“) erstellt werden. Erste, noch während der Projektlaufzeit durchgeführte Fallstudien und statische Analysen deuten darauf hin, dass die Auswahl der Parameter gut geeignet ist, um das Handeln von Militäreliten in Situationen friedlicher Massenmobilisierung gegen ein autoritäres Regime über verschiedene Fälle, Weltregionen und Zeitperioden hinweg zu erklären. 4. Es wurde eine systematische deskriptive Auswertung der Auswirkungen von Militärhandeln in Diktatorenendspielen auf die Demokratisierungs- und Konsolidierungschancen junger Demokratien vorgenommen. Dabei zeigt sich, das die Berücksichtigung militärischen Handelns in Situationen der Herausforderung eines autoritären Regimes „von unten“, d.h. durch eine sich friedlich und massenhaft mobilisierende Gegenmacht ein wichtiger Baustein in ders Entwicklung eines besseren Verständnisses der Effekte von vertikalen Regimekrisen auf die Chancen für den Übergang zur Demokratie und auf die Entwicklung junger Demokratien in der Post-Protest-Phase. Dies war in der Demokratisierungs- und der Konfliktforschung bislang noch nicht hinreichend berücksichtigt worden. Unerwartet schwierig war die Datenlage zu vielen der identifizierten Diktatorenendspielen und, vor allem, zu den in der fallorientierten, qualitativen Forschung genannten möglichen Erklärungsfaktoren für das Handeln von militärischen Eliten. Letztlich konnten insbesondere im Hinblick auf die Erfassung der Fälle, des zu erklärenden Phänomens sowie der Erklärungsvariablen sämtliche Datenlücken in einem aufwändigen Prozess der Erhebung und Triangulation von quantitativen und – vor allem – qualitativen Daten geschlossen werden. Die widersprüchliche Konzeptualisierung der meisten wichtigen theoretischen Begriffe und die auch in qualitativen (Einzel)Fallstudien häufig unzureichende Präzisierung der Operationalisierung grundlegender Erklärungsgrößen war aber doch überraschend und hat den Projektfortschritt verzögert. Gleichwals unerwartet war die geringe Robustheit einer Reihe von in der bestehenden Forschung prominent hervorgehobener Erklärungen in unseren Untersuchungen mit einer mittleren Fallzahl bzw. bei Vollerhebung aller Diktatorenendspiele. Dies betrifft zum einen bestimmte Formen der Putschprävention, insbesondere die sogenannte Gegenmachtbildung (counter-balancing). Zum anderen ist auch der Faktor der militärischen Kohäsion – wie geschlossen oder faktionalisiert ist das Militär als Organisation – im interregionalen Vergleich von Fällen aus unterschiedlichen Wellen der Massenmobilisierung schlicht nicht erklärungskräftig. Ein drittes, unerwartetes aber spannendes Ergebnis betrifft die fehlende Erklärungskraft von Variablen, die den institutionalisierten politischen Einfluss des Militärs abbilden. Das unterstützt für die vom Projektteam an anderer Stelle empirisch herausgearbeiteten Befund, wonach der politische Einfluss von Militärs in Autokratien (und in Demokratien!) seit Beginn des 21. Jahrhunderts (was einen großen Teil unserer Fälle abdeckt) in erster Linie informell und verdeckt wirkt. Politikpraktisch sind die Ergebnisse des Projekts vor allem relevant für die Demokratieförderung, aber auch für Demokratieaktivisten der Zivilgesellschaft. Daher ist besonders zu erwähnen, dass es dem Projektteam gelungen ist, die Ergebnisse des Forschungsprojekts sowohl in wissenschaftlichen Fachpublikationen zu veröffentlichen als auch in den Politikberatungsbereich sowie in die interessierte Öffentlichkeit zu vermitteln. So wurden mehrere Beiträge im Blog des Bertelsmann Transformation Index (BTI)-Projekts platziert (https://blog.bti-project.de/), Vorträge bei wichtigen Akteuren der Politikberatung und Demokratieförderung gehalten (NED, Wilson Center) sowie ein Focus-Beitrag am German Institute for Global Affairs (GIGA) in Hamburg online veröffentlicht.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- 2016. Diktatorenendspiel. Ein Literaturbericht zur Reaktion des Militärs auf Massenproteste in Autokratien (Dictator’s Endgame. Review Article on Military Reactions on Mass Protest in Autocracies), Zeitschrift für Politikwissenschaft 26(3)
Kuehn, David
(Siehe online unter https://doi.org/10.1007/s41358-016-0056-x) - 2016. Military Engagement in Mobilizing Societies: Armies and the Arab Spring. Philadelphia: University of Pennsylvania Press
Albrecht, Holger, Aurel Croissant, and Fred H. Lawson (eds.)
(Siehe online unter https://doi.org/10.9783/9780812293241-001) - 2017. Midwives or grave-diggers of democracy? The Military’s Impact on Democratic Development. Special Issue of Democratization 24(5)
Kuehn, David (ed.)
(Siehe online unter https://doi.org/10.1080/13510347.2017.1324421) - 2017. Midwives or Gravediggers of Democracy? The Military’s Impact on Democratic Development, Democratization 24(5), 783-800
Kuehn, David
(Siehe online unter https://doi.org/10.1080/13510347.2017.1324421) - 2017. Militaries’ Roles in Political Regimes: Introducing the PRM data set, European Political Science 16(3), 400-414
Croissant, Aurel, Tanja Eschenauer, and Jil Kamerling
(Siehe online unter https://doi.org/10.1057/s41304-016-0083-6) - 2018, “The Military and Autocratic Regimes: Roles of the Armed Forces”. In Gerschewski, Johannes, and Christoph H. Stefes (eds.). Crisis in Authoritarian Regimes. Boulder, Co.: Lynne Rienner, 89-110
Croissant, Aurel, Tanja Eschenauer and Jil Kamerling
- 2018. Civil-Military Relations in Southeast Asia. Cambridge University Press
Croissant, Aurel
(Siehe online unter https://doi.org/10.1017/9781108654715) - 2018. Mass Protests and the Military, Journal of Democracy 29(3), 141-155
Croissant, Aurel, David Kuehn, and Tanja Eschenauer
(Siehe online unter https://doi.org/10.1353/jod.2018.0051) - 2018. The “Dictator’s Endgame”: Explaining Military Behavior in Nonviolent Anti-Incumbent Mass Protests. Democracy and Security 14(2), 174-199
Croissant, Aurel, David Kuehn, and Tanja Eschenauer
(Siehe online unter https://doi.org/10.1080/17419166.2017.1423471) - 2019. Civil-Military Relations: Control and Effectiveness across Regimes. Boulder: Lynne Rienner
Bruneau, Thomas C., and Aurel Croissant (eds.)
- 2019. “Measuring Effectiveness and Control". In Croissant, Aurel, and Tom Bruneau (eds.). Civil-Military Relations: Control and Effectiveness across Regimes. Boulder: Lynne Rienner, 35-54
Eschenauer-Engler, Tanja, and Jil Kamerling
- 2019. “Military and Politics". In Shiping Hua (ed.). Routledge Handbook of Asian Politics. New York/London: Routledge, 413-429
Croissant, Aurel, and David Kuehn