Shemarya ha-Ikriti und der intellektuelle Kosmos der byzantinischen Juden im 14. Jahrhundert
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Ziel des geförderten Projekts war die beispielhafte Analyse der Werke eines byzantinisch-jüdischen Gelehrten des 14. Jahrhunderts und damit eine genauere Betrachtung des intellektuellen Kontextes des bisher wenig untersuchten byzantinischen Judentums im Spätmittelalter. Der Autor, Shemarya ha-Iqriti, geboren ca. 1260 auf Kreta, verbrachte den Großteil seines Lebens in der Handelsmetropole Negroponte auf Euböa, die sich zu dieser Zeit unter venezianischer Herrschaft befand. In seinen Werken verbindet sich die byzantinisch-jüdische Tradition mit den intellektuellen Entwicklungen aus Mitteleuropa, Spanien und Italien, und dem Nahen Osten. Insbesondere der Einfluss und die kritische Rezeption der exegetischen Werke Rashis und Abraham ibn Ezras ist zu spüren. Gleichzeitig zeigt sich in seinen frühen Schriften eine Hinwendung nach Ägypten, die vermuten lässt, dass Kontakte und Beziehungen auch zu den nahöstlichen Gelehrten vorhanden waren. Die besondere Rolle von Byzanz als Ort des Kultur- und Wissenstransfers zwischen Europa und dem Nahen Osten tritt hier hervor. Relevant sind Shemaryas Werke zudem hinsichtlich der Rezeption der Kontroversen um die Schriften des Maimonides. Shemaryas Position kann vor dem Hintergrund der vierten Maimonidischen Kontroverse verstanden werden, in der ein großer Teil der philosophischen Ideen bereits Eingang in die jüdische Gelehrtenwelt gefunden hat, die extreme Allegorisierung der Bibel jedoch abgelehnt wurde. Shemaryas Werke zeigen die Bemühungen um die Vereinbarkeit von philosophischen und rabbinischen Traditionen. Shemarya folgt Maimonides nicht in allen Aspekten, sondern äußert durchaus Kritik und entwickelt daraus seine eigenen Vorstellungen, insbesondere im Kontext der Diskussionen um die Rolle der menschlichen Seele, des Gebets und der Schöpfung. Die Quellenanalyse ergab, dass Shemarya wenig Zugang zu den hebräischen Übersetzungen der aristotelischen Werke hatte und sein philosophisches Wissen vermutlich vorrangig aus enzyklopädischen Werken bezog. Das Projekt ermöglichte einen Einblick in die Gedankenwelt und den intellektuellen Kosmos eines spätbyzantinischen jüdischen Gelehrten und seinem Netzwerk. Die noch wenig erforschte Geschichte der Juden in Byzanz bildet einen weiteren geokulturellen Block neben den sehr viel intensiver erschlossenen jüdischen Gemeinden in Ashkenaz und Sefarad sowie im Nahen Osten. Eine differenzierte Beleuchtung der besonderen Rolle dieser jüdischbyzantinischen Welt innerhalb der jüdischen Geschichte des Mittelalters erfordert noch weiterführende Forschungsvorhaben, insbesondere die Erschließung und das Studium der großen Zahl erhaltener byzantinischer Handschriften.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- „Knotenpunkt Byzanz – Aharon ben Yosef und die Vermittlung sefardisch-andalusischer Traditionen nach Byzanz“, in: Frankfurter Judaistische Beiträge 41 (2016/17): 19–36
S. Dönitz, mit Elisabeth Hollender
- “Jews between the Byzantine and the Latin World: Jews as Cultural Brokers between Byzantium and the West,” in: S. Kolditz; N. Drocourt (eds.), Brill's Companion to the Byzantine World: Byzantium and the West. Brill, 2022. 496–512
S. Dönitz
(Siehe online unter https://doi.org/10.1163/9789004499249_019)