Literatur und Netzwerke konservativ-nationalistischer oder "völkischer" und "konservativ-revolutionärer" Autoren in Deutschland 1918-1945: Erschließung und Auswertung der Nachlässe Hans Grimms und Ernst Jüngers sowie der in Marbach deponierten Archive der Verlage Piper und Diederichs
Zusammenfassung der Projektergebnisse
1) Innerhalb des national-völkischen und national-konservativen Milieus hat es zahlreiche Versuche gegeben, die nationalistische Rechte in der Weimarer Republik zu stärken und zu vereinigen. Gesichtet und ausgewertet wurden die Nachlässe Hans Grimms, Ina Seidels, Agnes Miegels, Eugen Diederichs, Werner Beumelburgs, Bruno Brehms u. a. Im „Dritten Reich“ arbeiteten diese Autoren gemeinsam in den literaturpolitischen Organen wie der Akademie und der Reichsschrifttumksammer und fürchteten, durch die „Gleichschaltung“ und Zentralisierung der Institutionen ihre Souveränität und ihre Autonomie zu verlieren. Insgesamt zählten sie allerdings zu denjenigen Autoren, die vom Staat lanciert wurden. Ihre Kritik betraf nicht die Fundamente des Nationalsozialismus, mit denen sie weitgehend einverstanden waren; sie bemängelten einzelne Entscheidungen in den literaturpolitischen Institutionen und fürchteten um einen Stellungsverlust. Insbesondere Hans Grimm hat sowohl innerhalb der Akademie als auch durch die privat veranstalteten Lippoldsberger Dichtertage versucht, ein literarisch-publizistisches Netzwerk zu bilden und Einfluss zu nehmen. Das ist ihm wegen der Disparität innerhalb des national-völkischen Milieus nicht gelungen. 2) In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre und insbesondere um 1930 lassen sich verstärkt personelle Fluktuationen und Verbindungen zwischen dem rechten und dem linken Lager sowie zwischen Vertretern der avantgardistischen und der antimodernen Literatur verzeichnen. Politisch lassen sich vor allem Bewegungen von links nach rechts feststellen; literarisch-ästhetische Dispositionen wechseln eher von avantgardistisch zu antimodern: So positionierten sich Arnolt Bronnen und Kasimir Edschmid im rechten Lager. Umgekehrte Bewegungen waren seltener. Neben solchen Fluktuationen kam es vermehrt zum Austausch zwischen Autoren unterschiedlicher politischer und literarisch-ästhetischer Provenienz, wie etwa zwischen Gottfried Benn und den Akademie-Mitgliedern Hans Grimm und Walter von Molo. Insgesamt ist eine erstaunlich hohe Bereitschaft im national-völkischen Lager festzustellen, solche Fluktuationen zu akzeptieren. Skeptischer reagierten dagegen die national-revolutionären Autoren, die z. B. den politischen Kurswechsel Arnolt Bronnens nie ernst genommen haben. 3) Die Rekonstruktion und Analyse der Verbindungen innerhalb des disparaten nationalistischen Lagers ermöglichte es, die einzelnen Gruppierungen – etwa der national-völkischen, der national-konservativen oder der national-revolutionären Autoren – differenzierter darzustellen und ihre Gemeinsamkeiten und Differenzen zu profilieren. 4) Überschneidungen lassen sich insbesondere zwischen national-völkischen oder national-konservativen Autoren und den Vertretern des christlichen Flügels der „Inneren Emigration“ erkennen. Die Sichtung und Auswertung der Nachlässe hat ergeben, dass Interferenzen des christlichen Milieus mit den Nationalsozialisten auf gemeinsame ideologische und weltanschauliche Wurzeln zurückzuführen sind, während die Differenzen vor allem die modernen Elemente des Nationalsozialismus betreffen. Die meisten Vertreter der „Inneren Emigration“ waren durch nationalvölkische und national-konservative Denktraditionen geprägt; nur wenige Ausnahmen waren demokratisch orientiert. 5) Ergänzend zum ursprünglichen Arbeitsplan wurden die Verbindungen zwischen den einzelnen Autoren der christlich geprägten „Inneren Emigration“ in der Nachkriegszeit ausgewertet: Hier lässt sich am ehesten von einem Versuch der Netzwerkbildung sprechen, der sichtbar wird in der internen Debatte um die Exilautoren und um die avantgardistische Literatur. In der unmittelbaren Nachkriegszeit versuchten diese Autoren, ihren Einfluss geltend zu machen, indem sie unmittelbar an nationalkonservative Traditionen anknüpften.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- „Schwierig und ablehnend.“ Der Briefwechsel zwischen Hans Grimm und Ernst Jünger, in: Internationales Archiv der Sozialgeschichte der deutschen Literatur 34, 1 (2009), S. 141-161
Lörke, Tim
- Die Verleihung des Bremer Literaturpreises an Ernst Jünger im Spiegel seiner Korrespondenz mit Rudolf Alexander Schröder, in: Les Carnets Ernst Jünger 11 (2011), S. 257-280
Scheufele, Claudia
- Dokumentation einer Annäherung und Distanzierung. Der Briefwechsel zwischen Gottfried Benn und Hans Grimm in den Jahren 1933 bis 1935, in: Benn Forum. Beiträge zur literarischen Moderne 2 (2010/2011), S. 79-103
Scheufele, Claudia
- Schriftstellerkorrespondenzen im „Dritten Reich“, in: Realität als Herausforderung. Literatur in ihren konkreten historischen Kontexten, hg. von Ralf Bogner u.a., Berlin u.a.: De Gruyter 2011, S. 499-510
Kiesel, Helmuth
- „Sie begann mit ‚sehr verehrter‘ und schloß mit ‚mein lieber …‘ ab.“ Die Korrespondenz zwischen Ernst Jünger und Ernst von Salomon, in: Les Carnets Ernst Jünger 11 (2011), S. 183-256
Scheufele, Claudia
- Verwischte Grenzen. Schriftstellerkorrespondenzen zwischen Literatur und Politik in der Weimarer Republik und im „Dritten Reich“, Heidelberg: Winter 2013
Scheufele, Claudia und Kiesel, Helmuth (Hg.)