Praktische Körper
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt sah im ersten Projektteil als seine Aufgabe, die begrifflichen Strategien und Operationen im Hinblick auf die Körperkonzepte bei den protokanonischen Theorien des 20. Jahrhunderts zu untersuchen, die den heutigen Praxistheorien ihre konzeptuellen und theoretischen Grundelemente liefern. Zu diesen protokanonischen Theorieansätzen zählen insbesondere die Praxistheorie Pierre Bourdieus, die Performativitätstheorie Judith Butlers und die Diskurs-Praxis-Theorie Michel Foucaults. Dabei standen die Fragen im Zentrum, (1) welche Körperkonzepte diese eigens entwickeln und in welcher Theorietradition sie selbst stehen und (2) ob diese einen hinreichend differenzierten Körperbegriff vorweisen können. Die Beantwortung dieser Fragen war umso wichtiger, als sich nur auf Grundlage der Beantwortung dieser Fragen würde herausstellen lassen, ob die im zweiten Projektteil im Mittelpunkt stehenden – nicht mehr protokanonischen, sondern – rezenten Theorieangebote aus der Familie der praxistheoretischen Forschung bereits unter ‘cartesischen Vorzeichen’, das heißt vermittels eines reduktiven Körperverständnisses, selbst operieren. Ergebnis der ersten Projektphase war die Feststellung, dass alle drei protokanonischen Ansätze nur in einem spezifischen Bezug auf leibtheoreitsche Überlegungen eigene Körperbegriffe konzipiert haben; jedoch darüber hinaus weitere für das Projekt relevante Traditionslinien mitführen. Es zeigte sich, dass die Schlüsselfigur in der Entwicklung der Körperlichkeit als Analysekategorie hier Maurice Merleau-Ponty mit dessen Unterscheidung von aktuellem Leib, habituellem Körper ist. Nötig wurde allerdings auch das Herausstellen anderer Ansätze im Hintergrund wie etwa der Praxisbegriff aus der französischen Epistemologie oder das Performativitätsparadigma ausgehend von Sprechakttheorien. Mit diesem kritischen Ergebnis galt es im zweiten Projektteil rezente Forschungen in den Blick zu nehmen. Hier standen verschiedene Forschungsrichtungen im Blickpunkt. Insbesondere die sport- und körper- sowie kultursoziologische Forschung rekurriert vielfach auf bourdieusche foucaultsche oder butlersche Körperkonzeptionierungen. Weniger im Blickpunkt stand “Körperlichkeit” hingegen bislang in philosophischen und politiktheoretischen Ansätzen, die sich der praktischen Wende zuordnen. Hier entdeckte das Projekt ein großes Desiderat, woraus einige Publikationen hervorgingen. Im Rahmen von Tagungen, Workshops oder Publikationsprojekten erwies sich, dass trotz der differenzierten Konzeptionierungen von Körperlichkeit bei Butler, Foucault und Bourdieu diese rezent oftmals nicht in ihrer Tiefe rezipiert werden. Auch hier erkannte das Projekt ein Desiderat und stieß gemeinsam mit prägenden Akteur*innen in der relevanten Forschung (Frank Hillebrandt, Robert Gugutzer, Sophia Prinz, Uwe Vormbusch, Robert Schmidt, Ted Schatzki et cetera) Forschungen und kleinere Projekte an, aus denen etwa die internationale Tagung “Phänomenologie und Praxistheorie – Eine Verhältnisbestimmung” oder etwa auch verschiedene Workshops und kleinere Veranstaltungen wie Publikationen hervorgehen konnten. Insgesamt trug das Projekt dazu bei, dass der Erfahrungs- und Vollzugsseite der korporalen Praxis mehr Aufmerksamkeit zuteil wurde. Hierfür hat sich mittlerweile ein feststehender Ausdruck finden lassen, der erstmals international sichtbar 2017 in einem Zeitschriftenartikel zur breiteren Diskussion gestellt worden ist: die korporale Differenz.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- „Lebenswelt und Theorie der Praxis – Prolegomena zu einem Theorievergleich im Ausgang von Husserl und Blumenberg“, in: J. Kertscher u. J. Müller (Hg.), Lebensform und Praxisform, Paderborn: mentis 2015, 227-242
Bedorf, Thomas
- „Leibliche Praxis. Zum Körperbegriff der Praxistheorien“, in: Th. Alkemeyer, V. Schürmann u. J. Volbers (Hg.), Praxis denken. Konzepte und Kritik, Wiesbaden: Springer VS 2015, 129-150
Bedorf, Thomas
(Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-658-08744-9_6) - Phänomenologie und Praxistheorie (Schwerpunkt), in: Phänomenologische Forschungen 2, Hamburg: Meiner 2017
Bedorf, Thomas, u. Gerlek, Selin (Hg.)
(Siehe online unter https://doi.org/10.28937/1000107732) - „Selbstdifferenz in Praktiken. Phänomenologie, Anthropologie und die korporaleDifferenz“, in: Phänomenologische Forschungen 2, Hamburg: Meiner 2017, 57-75
Bedorf, Thomas
(Siehe online unter https://doi.org/10.28937/1000107736) - "Die praktische Wende und die Praxistheorien – Eine Verhältnisbestimmung", in: S. Aßmann, P. Moormann, K. Nimmerfall u. M. Thomann (Hg.), wenden. Interdisziplinäre Perspektiven auf das Phänomen turn, Wiesbaden: Springer VS (2018), 175-183
Gerlek, Selin
(Siehe online unter https://doi.org/10.1007/978-3-658-14805-8_15) - Philosophien der Praxis, ein Handbuch. Tübingen: Mohr
Bedorf, Thomas, u. Gerlek, Selin (Hg.)
- “Poststrukturalismus”, in: Bedorf, Thomas, u. Gelrek, Selin (Hg.), Philosophien der Praxis, Tübingen: Mohr
Gerlek, Selin