Projekte zur 'inneren Kolonisierung' und zur erneuten Inkulturnahme brachgefallener Landschaften in Italien, Deutschland, den USA und Spanien zwischen 1927 und 1939 respektive den 1950er Jahren.
Architektur, Bau- und Konstruktionsgeschichte, Bauforschung, Ressourcenökonomie im Bauwesen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Der ‚Ostpreußenplan‘, ein deutsches Vorhaben zur ‚inneren Kolonisierung‘ (ca. 1932-1934/1935) ist eher ein vorrangig schriftlich formuliertes Ideenkonglomerat, um für die strukturschwache, klimatisch ungünstig gelegene und durch die Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages separierte deutsche Provinz Ostpreußen eine ihre gesamte Bodenfläche betreffende wirtschaftliche und gesellschaftliche Aufwertung zu initiieren und zu propagieren. Der ‚Ostpreußenplan‘ ist kein direkt umsetzbares Planwerk der frühen Landesplanung in Deutschland, sondern ein formuliertes Vorhaben, dessen Äußerungen in gezeichneten Planwerken und dessen Umsetzungsmöglichkeit aufgrund bestehenden Rechts erst während der gedanklichen Ideenspielerei entworfen bzw. eingefordert werden müssen. Dies gelingt mindestens im Falle von gezeichneten Plänen langsam und unter der Suche nach geeigneten Darstellungsmöglichkeiten. Der ‚Ostpreußenplan‘ kann noch keiner heute bestehenden akademischen Disziplin zugeordnet werden. Unter der Überschrift dieses Ideenwerkes ‚Ostpreußenplan‘ gruppieren sich auch Ideen und erste praktisch erworbene Erkenntnisse zu ländlich-betriebswirtschaftlichen Neuerungen, die am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert auf einzelnen Mustergütern (u.a. in Ostpreußen) erdacht und erprobt werden und schließlich, in der wirtschaftlichen Notsituation Deutschlands am Ende des Ersten Weltkrieges, als gesellschaftlich wirksame Ideen abstrahiert werden. Hinzu treten Ideen staatswirtschaftlicher Art, die auf die sich deutlich ändernde Erwerbs- und Lebensstruktur der deutschen Gesellschaft in der Zeit der Hochindustrialisierung (Ende des 19. Jahrhunderts) und des Ersten Weltkrieges sowie deren Krisenzeiten zu reagieren versuchen. Dies kann für eine vorrangig landwirtschaftlich bewirtschaftete Provinz wie Ostpreußen, die zudem über eine historisch nicht in Frage gestellte alte Besitz- und Herrschaftsstruktur verfügt, bedeuten, landwirtschaftlichen Flächenbesitz zugunsten von kleinbäuerlichem und kleinbürgerlichem Eigenbesitz aufgelöst zu denken, die landwirtschaftliche Bewirtschaftung dadurch abzuändern und zu diversifizieren sowie die Bereicherung der ländlichen Wirtschaftsproduktion durch das gewollte Einflechten von landwirtschaftliche Produkte verarbeitenden Kleinindustriebetrieben zu forcieren. Hinzu treten in Ostpreußen die (außer für das Elsass ebenfalls gültig) in Deutschland einmalig erlebten Kampf-, Flucht- und Zerstörungserfahrungen des Ersten Weltkrieges, die das Erleben ländlichen und kleinstädtischen Wiederaufbaus bedingen. Auch diese Erfahrungen, die in dieser Zeit auf den Gebieten des Städtebaus und der Architektur gesammelt werden können, addieren sich als deutlich seh- und erlebbar den eher theoretisch-spröden aus den land- und staatswirtschaftlichen Disziplinen hinzu. Das, was als Ideenkleeblatt (Aufbau von Infrastruktur, Siedlungen und ländlicher Industrie in Ostpreußen; Änderung der bisherigen landwirtschaftlichen Besitzverhältnisse und der landwirtschaftlichen Produktion; Aufbau überregionaler wirtschaftlicher Verbindungen mit den neugegründeten nordosteuropäischen Staaten aber auch mit Skandinavien) von Fachleuten der Universität Königsberg und mit dieser assoziierten Instituten Ende der 1920er Jahre beginnt, sich theoretisch herauszubilden, ist nie ganz frei von Völker wertenden und platzierenden Haltungen, die auch als verdeckt imperialistisch angesprochen werden können. Je nach politischem Überzeugungshintergrund der vielen Protagonisten und Ideengeber scheint der Wunsch nach deutscher Vormacht und Entwicklungsvorgabe gegenüber anderen Völkern in unterschiedlicher Betonung immer wieder auf. Dies intensiviert sich, als diese strukturändernden Ideen auf nationalsozialistisch verbundene Autoren treffen, die von letzteren schließlich absorbiert werden. Die nunmehr übergeordnete gesellschaftliche Idee ‚Ostpreußenplan‘ kann so zu einer als ideal visionierten, in der Masse kleinbäuerlich und kleinbürgerlich ausnivellierten Gesellschaft werden, in der sich ‚das Volk‘ zu einer zunächst in Bewegung geratenen dann zukünftig statischen ‚Gemeinschaft‘ zusammenschließt. Die visionierte und erhoffte grundsätzliche Änderung der Gesellschaft und ihrer Erwerbsstruktur kann scheinbar umso leichter gelingen, je änderungswürdiger sich die Ausgangssituation darstellt. Eine politisch-gesellschaftlich und wirtschaftlich überholte und zudem dünn besiedelte Landschaft eignet sich als ideelle Projektionsfläche scheinbar besser, als eine in ihren Funktionen konzentrierte Landschaft wie das deutsche Ruhrgebiet. Die ‚Beinahe-Leere‘ bzw. das vollkommene Abwerten des ‚Bestehenden – Schlechten‘ erleichtern die Projektion von Ideen und stellen den ‚Ostpreußenplan‘, unter diesem Aspekt betrachtet, in eine Linie mit anderen norddeutschen strukturändernden bzw. konkret meliorisierenden und besiedelnden landschaftlichen Großprojekten wie dem großflächigen Moorumbruch im Emsland oder die ausschnitthafte Trockenlegung von Wattenmeer zugunsten der Landgewinnung im Adolf-Hitler- und im Herman-Göring-Koog. In die Reihe der Bewertung von klimatisch ungünstiger, morastischer und scheinbar leblos-nasser bzw. überschwemmter Sand- und Schlicklandschaft als minderwertig (und damit dem weißen Zeichenblatt am Beginn eines Entwurfsprozesses vergleichbar) reihen sich das italienische Großprojekt der Bonifica Integrale del Agro pontino (1927-1939) aber auch die umfassend große Trockenlegung der Zuiderzee in Holland (1927-1960er Jahre) ein. Hier zeigen sich inhaltliche Berührungspunkte jenseits europäischer Staatsgrenzen und jenseits politischer Systeme, die dem ingenieurtechnischen Wunsch geschuldet sind, eine höhere Verwertbarkeit jedweder Landschaft zu erzielen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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„Aspekte planerischer Moderne in der Region Roms während des Ventennio“. ‚Docomomo Deutschland‘ und 14. Karlsruher Tagung „Landschaft. Die Konzepte der Moderne und die aktuelle Praxis“ am 24.02.2017
Gawlik, Ulrike