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Ein Gesicht zum Lieben oder Fürchten? Ein Follow-up zu interindividuellen Unterschieden und klinischen Implikationen

Fachliche Zuordnung Allgemeine, Kognitive und Mathematische Psychologie
Persönlichkeitspsychologie, Klinische und Medizinische Psychologie, Methoden
Förderung Förderung von 2016 bis 2024
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 290032019
 
Erstellungsjahr 2024

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Dieses Projekt hat untersucht, wie sich unsere Wahrnehmung von Gesichtern und Personen verändert, wenn wir über verbales Lernen von potenziellen Bedrohungen erfahren. Dazu wurden verschiedene sozial-emotionale Faktoren untersucht (z. B. emotionale Gesichtsausdrücke, Gesichtsidentität und Bilder von geliebten Menschen), die entweder als Gefahren- oder Sicherheitshinweise bzw. in bedrohlichen oder sicheren Kontexten gezeigt wurden. Perzeptuelle und Gedächtnisprozesse sowie psychophysiologische Reaktionen und offenes Verhalten wurden untersucht. Neben der Replikation früherer Befunde zur Verarbeitung von Bedrohungen und Gesichtern lassen sich mehrere wichtige Erkenntnisse aus diesem Projekt hervorheben. 1) Verbale Bedrohungshinweise führen zu einer selektiven Wahrnehmungsverarbeitung, Gedächtnisenkodierung und Aktivierung psychophysiologischer Abwehrsysteme. Dabei spielt es keine Rolle, dass das erwartete aversive Ereignis tatsächlich nie eintritt. 2) Verbales Bedrohungslernen verändert flexibel frühere Gesichts-, Personen- und Kontextbezogene Assoziationen. Die Instruktionen setzen die implizite affektive Bedeutung von Gesichtern leicht außer Kraft, z.B. können eine lächelnde Person oder sogar Bilder von geliebten Personen leicht als Bedrohungsreize erlernt werden. 3) Kontextbezogene Bedrohung oder Sicherheit verändert die Art und Weise, wie wir andere Menschen wahrnehmen und auf sie reagieren. Der Kontext hilft dabei mehrdeutige Informationen zu verstehen (z.B. einen subtilen ängstlichen Ausdruck in einer bedrohlichen Umgebung besser zu erkennen) und die Aufmerksamkeit auf abweichende und unerwartete Informationen zu lenken (z.B. ein lächelndes Gesicht in einer gefährlichen Situation). Darüber hinaus reduziert das bloße Betrachten eines Bildes einer lächelnden Person oder eines geliebten Menschen nicht die Abwehrreaktion auf den aversiven Kontext. 4) Verbale Gefahreninstruktionen führen zu überraschend dauerhaften Abwehrreaktionen, d.h. der Nachweis, dass eine Situation sicher sei ist besonders schwierig, wenn die Bedrohung rein verbal erworben wurde. 5) Diese Bedrohungs-Biases spiegeln vermutlich das Wirken funktionaler Mechanismen wider, die nur teilweise interindividuelle Unterschiede zeigen. So zeigten beispielsweise Personen mit negativen Kindheitserfahrungen eine intakte selektive Verarbeitung von Gefahrensignalen für neu erworbene Bedrohungsassoziationen, und eine transdiagnostische Stichprobe (einschließlich Borderline- und PTBS-Patient:innen) zeigte adaptive bedrohungspotenzierte Schreckreflexe. 6) Klinische Relevanz ergibt sich insbesondere im Hinblick auf das Umkehrlernen von Gefahr und Sicherheit, bei dem von einer früheren Bedrohung zu einer sicheren Bedingung gewechselt wird, während gleichzeitig ein neues Gefahrensignal etabliert wird. Hier wurde z.B. bei Menschen mit subklinischer und klinisch relevanter Angstsymptomatik eine geringere neuronale Differenzierung zwischen neuen und alten Bedrohungsreizen sowie ein verstärktes Misstrauen gegenüber eigentlich sicheren Personen beobachtet. Insgesamt ist die Rolle sozialer Lernprozesse bei der Personenwahrnehmung und dem zwischenmenschlichen Verhalten noch wenig erforscht. Hier fügen sich die Projektergebnisse zu einem integrativen neurowissenschaftlichen Modell der Gesichts- und Personenwahrnehmung als Funktion des sozialen Lernens, mit Implikationen für die klinische Forschung.

Link zum Abschlussbericht

https://doi.org/10.23668/psycharchives.21396

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

 
 

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