Politikberatung als diskursive Politikgestaltung: Beratungsunterstützte Formen des Regierens zwischen Professionalisierung der Beratungspraxis und Technokratisierung des politischen Handelns
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Ausgangspunkt des Vorhabens war die Vermutung, daß derzeit ein neues Betätigungsfeld entsteht. Als charakteristisch für dieses Feld wurde unter anderem betrachtet, daß die dort Tätigen für Politik und Staat partizipative Verfahren durchführen und entsprechende Dienstleistungen auf einem sich herausbildenden Dienstleistungsmarkt anbieten. Das Vorhaben sollte eine spezifische berufssoziologische Betrachtungsweise von Partizipation einrichten und damit eine neue Perspektive in der Partizipationsforschung eröffnen. Gegenstand war die „Berufspraxis" derjenigen, die Partizipation auf der Grundlage fachlichen Wissens und entsprechender Fertigkeiten praktizieren. Im Zentrum der Untersuchung stand dabei die Frage, wie typische Krisensituationen, mit denen sich Politik und Verwaltung konfrontiert sehen, von den die untersuchten Tätigkeiten Ausübenden gedeutet werden und wie die Praxis ihrer Bewältigung aussieht. Die für die analytische Ausrichtung des Vorhabens entscheidende Annahme war, daß bei der Deutung und Bewältigung dieser Krisensituationen spezifische Deutungsmuster und Habitusformationen zum Tragen kommen. Das Modell professionellen Handeln im Sinne der revidierten Professionalisierungstheorie Oevermanns bildete zunächst den Bezugspunkt der Überlegungen zur analytischen Bestimmung der untersuchten Tätigkeiten. Professionelles Handeln als eine Form krisenbewältigenden Handelns zeichnet sich diesem Modell zufolge dadurch aus, daß es sich nicht darauf beschränkt, auf der Grundlage einer entsprechenden Expertise spezifizierte Probleme zu lösen, sondern die betroffene Praxis als Ganze thematisiert und rekonstruiert sowie darauf abzielt, diese in ihrer Autonomie zu erhalten bzw. zu restituieren. Charakteristisch für das professionelle Handeln im Sinne der klassischen Professionalisierungstheorie ist, daß es zum einen Autorität bei der Deutung der betroffenen Praxis beansprucht, sich zum anderen aber in den Dienst dieser als autonom betrachteten und in ihrer Autonomie zu erhaltenden bzw, zu restituierenden Praxis stellt. Die Krisenbewältigungsmodi, die sich anhand der untersuchten Fälle rekonstruieren ließen, waren anderer Art. In der im untersuchten Feld u. E. dominierenden Ausprägung bilden die Krisen der Auftraggeber nicht den Anlaß dafür, die betroffene Praxis in ihrer Totalität zu thematisieren und in ihrer Fallbesonderheit zu rekonstruieren. Sie werden vielmehr als potentieller Gegenstand eines Managements gedeutet. Ziel ist auch nicht die Erhaltung bzw. Restitution einer autonomen Praxis. Der dominante Bezügspunkt der untersuchten Tätigkeiten ist vielmehr die Etablierung umfassender Planungs- und Regulierungszusammenhänge in einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive. Die Autonomie des Subjekts wie sie sich in der die politischen Auseinandersetzung und der autonome Verfolgung von Interessen äußern, stellen hier tendenziell Störfaktoren dar, die es latent zu halten gilt. Die Anbieter dieser Managementleistungen verstehen sich zudem nicht als Dienstleister im wörtlichen Sinne, die ihre Expertise nicht in den Dienst der Interessen ihrer Auftraggeber stellen. Sie verstehen sich eher als moralische Unternehmer, die eigene gesellschaftspolitisch motivierte Ziele verfolgen und zu diesem Zweck mit Politik und Verwaltung kooperieren, was bei den untersuchten Fällen in unterschiedlichem Maße gelingt. Die anhand der betrachteten Fälle rekonstruierten Deutungsmuster und Habitusformationen sind u. E. nicht für die untersuchten Tätigkeiten spezifisch. Sie scheinen eher das Ergebnis eines umfassenderen Wandels gesellschaftlicher Normalitätsvorstellungen der modernen Gesellschaft zu sein. Im Zuge dieses Wandels treten Normalitätsvorstellungen, die noch die bürgerliche Moderne geprägt haben, in der die Interessenverfolgung des autonomen Individuums und die öffentliche politische Auseinandersetzung eine zentrale Rolle spielen, zugunsten von Normalltätsvorstellungen in den Hintergrund, die von der Forderung einer Mitwirkung in umfassenden Planungs- und Regulierungszusammenhängen geprägt sind. Charakteristisch für das untersuchte Dienstleistungsfeld ist, daß sich unabhängig von der Politik Akteure formieren, die versuchen in herausbehobener Weise an der Gestaltung dieser Planungs- und Regulierungszusammenhänge mitzuwirken.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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„Möglichst viele sollen sagen ...' - Von der Politik zur Governance", in: Georg Aichholzer, Alfons Bora, Stephan Bröchler, Michael Decker und Michael Latzer (Hg.), Technology Governance: Der Beitrag der Technikfolgenabschätzung, Berlin
Münte, P.