Tektonische Akkretion des rheno-hercynischen Vorlandes, dokumentiert durch detritische Zirkone im Karbon-Flysch des Rheinischen Schiefergebirges
Zusammenfassung der Projektergebnisse
U–Pb Laser-ICP-MS-Datierungen von Zirkonkörnern aus synorogenen karbonischen Grauwacken und Sandsteinen (Flysch und Molasse) erlauben die Rekonstruktion abgetragener Teile des aufsteigenden Rheno-Hercynischen Gebirges (RH), der nördlichsten Einheit des variscischen Orogens von Europa. In Verbindung mit Literaturdaten zum K/Ar- Alter von Hellglimmer-Fraktionen und der petrographischen Zusammensetzung aus denselben Gesteinseinheiten lassen sich auch die Entwicklung der Orogenfront, die tektonischen Mechanismen ihres Wachstums, das thermische Regime und das Ausmaß der "Kannibalisierung" vorgelagerter Sedimenteinheiten ableiten. Wichtigstes Liefergebiet der synorogenen klastischen Schüttungen war "Franconia", der nördlichste Teil der armorikanischen Inselgruppe (Armorican Terrane Assemblage, ATA). Franconia bestand aus einem neoproterozoischen ("cadomischen") Basement mit Intrusionen von Graniten und ähnlichen Gesteinen. Die Zirkone aus dieser Einheit belegen neoproterozoische Subduktion nach Süden unter den Großkontinent Rodinia, die Abspaltung der armorikanischen Inseln im Kambrium und älterem Ordovizium, die Schließung des rheischen Ozeans (zwischen der ATA und dem Mikrokontinent Avalonia) und/oder die nachfolgende Öffnung des rheno-hercynischen Ozeans. Im tiefen Oberdevon (c. 380 Ma) belegen erste Grauwacken-Schüttungen vom aktiven Südrand des RH Beckens, detritische Zirkone um 380 Ma und gleichalte Glimmer mit Anzeichen druckbetonter Metamorphose den Beginn der Schließung des RH Ozeans durch Subduktion nach Süden. Die jüngeren synorogenen Sedimente (Unter- und Oberkarbon) sind reich an Zirkonen aus Graniten, die während der Subduktion des RH Ozeans und der Kollision zwischen Avalonia (Unterplatte) und Franconia (Oberplatte) entstanden sind. Eine Besonderheit der RH Zirkonspektren ist – beginnend im hohen Namur A (325 Ma) – ein großer Anteil von Körnern aus dem kaledonischen Gebirge und seinem baltischen Vorland. Ihre nördliche Herkunft widerspricht dem generellen Nord-Transport der synorogenen Sedimente. Die Erklärung liegt in der Akkretion und Umlagerung devonischer Schelfsedimente baltoskandischer Herkunft, die "zurück an Absender" transportiert worden sind. Das Auftreten der baltoskandischen Zirkone korreliert mit metamorphen Sandsteinen ("Quarziten") im Klasten-Spektrum. Diese Sandsteine müssen also basal akkretioniert worden sein. Ihre Exhumierung erfolgte in einem antiformal stack, von dem im finalen Stadium der Orogenese die Decken des RH gravitativ abgeglitten sind. Geringe Mengen baltoskandischer Zirkone im Oberdevon bis Namur A können auf frühe, frontale Akkretion und Umlagerung distaler Schelfsedimente zurückgeführt werden. Eine Massenbilanz der baltoskandischen Komponenten ergibt einen Vol.-Anteil von 28% der Vorland-Sedimente und den Verlust von ≥ 100 km des distalen passiven Randes. Die basale Akkretion ist Teil einer Entwicklung, in der das basale Detachment des Orogenkeiles ständig tiefergelegt worden ist, wobei schließlich sogar im externen Vorland eine Position in der mittleren Kruste erreicht wurde. Diese "thick-skinned"-Entwicklung deutet auf einen hohen geothermischen Gradienten, wahrscheinlich durch anorogene Advektion von Mantelschmelzen. Dieser Prozess kann auch die Entstehung von Schmelzen im aktiven Plattenrand befördert haben. Die stoffliche Entwicklung der Vorland-Klastika des RH zeigt Parallelen mit dem Istanbul Terrane und SW-England, vor allem aber mit der südportugiesischen Zone. Es wäre eine reizvolle Aufgabe, das Zusammenwirken von Tektonik und Sedimentation einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2019) Zircons to the front: accretionary history of the Rheno-Hercynian active margin (Variscides, Germany). Can. J. Earth Sci. (Canadian Journal of Earth Sciences) 56 (12) 1375–1397
Franke, Wolfgang; Huckriede, Hermann; O’Sullivan, Paul; Wemmer, Klaus
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(2018) Zircons to the Front! An 80 Ma record of foreland sedimentation in the Rheno-Hercynian Variscides. Abstract, GeoBonn 2018: 93-94
Franke, W., Huckriede, H., Salamon, M., Wrede, V.