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Gender-Diskurse und nationale Identität in Russland. Historische Perspektiven und aktuelle Tendenzen.

Fachliche Zuordnung Europäische und Amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaften
Förderung Förderung von 2006 bis 2012
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 30717582
 
Erstellungsjahr 2013

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Im Projekt „Gender-Diskurse und nationale Identität in Russland. Historische Perspektiven und aktuelle Tendenzen" stand die Frage im Vordergrund, wie sich die Wechselwirkung von Gender- und Nationsdiskursen in Russland im Verlauf der letzten zwei bis drei Jahrhunderte gestaltet hat. These war, dass die Eigenart mssischer Identitätssuche, v.a. auch die spannungsreiche Beziehung zu Westeuropa, im Spiegel der Gendermetaphorik besonders plastisch zum Ausdruck kommt. Nach einer intensiven theoretischen Beschäftigung mit den für die Moderne insgesamt charakteristischen Interferenzen von Geschlechter- und Nationsvorstellungen (Gründe für die Entstehung dieser Verflechtung, Strukturmodelle etc.) wurde zunächst untersucht, wann und wie diese Diskurse nach Russland gelangen und in welcher Weise sie dort gemäß den spezifischen soziokulturellen und historischen Bedingungen transformiert werden. Es zeigte sich, dass das in populären Diskursen häufig kolportierte Bild vom „weiblichen" Russland um 1800 zunächst vorrangig auf Fremdzuschreibungen von westlicher Seile zurückgeht, die Russland resp. Osteuropa im Zuge des Orientalismus in der Kategorie des „Anderen", Exotischen zu verorten trachten. In Russland selbst werden solche Zuschreibungen anfangs vehement abgelehnt. Erst im Lauf des 19. Jahrhunderts geht man sowohl im staatsoffiziellen Nationsdiskurs wie auch in den verschiedenen Gruppierungen der Intelligenz dazu über, sich partiell mit den Zuschreibungen des „Anderen", „Weiblichen" zu identifizieren, was allerdings mit einer positiven Umwertung dieser Kategorie einhergeht. Die Imagination vom „weiblichen" Russland ist also eine Folge des modernen Ringens um die russische Identität in Auseinandersetzung mit Westeuropa; Bruchstücke matriarchalischer Traditionen kommen dabei allenfalls im Sinne von Hobsbawms „invented traditions" zum Tragen. Überdies bleiben die russischen Identitätsdiskurse häufig nicht bei der positiven Umwertung von Weiblichkeitszuschreibungen stehen. Aufgrund der Zwischenstellung Russlands zwischen Europa und Asien, Moderne und Vormoderne etc. wird vielmehr beansprucht, dass die russische Identität beide Bereiche umfasst, Reflexion und Ursprünglichkeit, „männlichen" Schöpferdrang und „weibliche" Rezeptivität etc. In Geschlechtermetaphern entspricht dem die androgyne Vorstellung vom Russischen als dem „Allmenschlichen" (Dostoevskij), in Bezug auf die christlich-orthodoxe Tradition häufig verbunden mit der Christusgestall. Im Nationsdiskurs zeigt sich der Anspruch auf Universalität v.a. darin, dass das selektive Prinzip des modernen Nationalismus unentwirrbar verschmilzt mit den integrativen Vorstellungen des Imperialen. Anhand sorgfältig ausgewählter, repräsentativer, aufeinander aufbauender Einzelstudien wurde detailliert untersucht, wie sich die genannten Diskurse im Laufe des 19. Jahrhunderts und bis zur russischen Revolution entwickeln. Für die Sowjetzeil ist v.a. das „Umkippen" des allmenschlichen Modells - von der weiblichen Tönung des Männlichen hin zur „Vermännlichung" der Frau - charakteristisch. In postsowjetischer Zeit lässt sich ein Ringen zwischen der Rückkehr zum westlichen Zweigeschlechtermodell (mit einer Betonung des Männlichen) und dem Festhalten an der Utopie des Universalen, Allmenschlichen konstatieren. Die Ergebnisse des Projekts zeigen deutlich, dass Russland sich zwar in der Tat als „anders" als der Westen definiert, die eigene Auffassung der „Andersheit" unterscheidet sich aber deutlich von den Alteritätszuschreibungen des Westens. Dieses Auseinanderfallen von Eigen- und Fremdbildem ist ein wichtiger Grund für die Hindernisse und Verzögerungen in der Annäherung zwischen West und Ost, die Erhellung der Problematik kann wesentlich dazu beitragen, solche Hindernisse zu beseitigen. Die Ergebnisse und Thesen des Projekt wurden im Rahmen von Arbeitstreffen und Tagungen intensiv mit westlichen, v.a. aber auch mit russischen Slavisten und Kulturwissenschaftlern diskutiert. Diese Verhandlungen sind dokumentiert.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Das „Andere des Westens" und die „Arche Noah der Weltkultur". Zur Spezifik von Identität und Alterität in russischen kulturgeschichtlichen Diskursen. München (Verlag Otto Sagner) 2009; 279 S.
    Regine Nohejl
  • Konstrukty nacional'noj identicnosti v russkoj kul'ture XVIII-XIX vekov. Materialy konferencii. Pod red. Reginy Nochejl, Frederiki Karl, Elizabet Sore. Moskva (RGGU) 2010; 353 S.
    Reginy Nochejl, Frederike Karl, Ėlizabet Šore
  • Konstrukty nacional’noj identičnosti v russkoj kul’ture: vtoraja polovina XIX stoletija – Serebrjanyj vek. Materialy naucnoj konferencii, Tjumen'/Tobol'sk. Pod red. Reginy Nochejl, Frederike Karl, Ėlizabet Šore. Moskva 2011
    Reginy Nochejl, Frederike Karl, Ėlizabet Šore
  • Genderdiskurse und nationale Identität in Russland. Sowjetische und postsowjetische Zeit. Hrsg. Regine Nohejl, Olga Gorfinkel, Friederike Carl, Elisabeth Cheauré. München: Sagner 2013
    Regine Nohejl, Olga Gorfinkel, Friederike Carl, Elisabeth Cheauré
 
 

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