Kategorisierungsarbeit in Hilfen für Kinder und Jugendliche. Eine vergleichende Untersuchung der Verfahren der Behindertenhilfe und der Kinder- und Jugendhilfe vor dem Hintergrund der Diskussionen um eine Gesamtzuständigkeit
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt ‚‘Kategorisierungsarbeit in Hilfen für Kinder und Jugendliche‘ konnte erfolgreich abgeschlossen werden. Die Ergebnisse wurden und werden in verschiedenen Publikationen und Vorträgen der Fachöffentlichkeit zugänglich gemacht. Die gewählten Forschungszugänge zur Analyse von Verfahren und Abläufen in Jugendämtern und Sozialämtern sowie die Aktenanalyse erwiesen sich als erfolgreich für die empirisch vergleichende Erforschung von Verfahren zur Bearbeitung von Hilfen für Kinder und Jugendliche in Jugendämtern und bei Trägern der Eingliederungshilfe. Durch die vergleichende Rekonstruktion der Kategorisierungsarbeit anhand der organisationalen Strukturen und der Akten werden Annahmen zur Abgrenzung der Felder der Kinder- und Jugendhilfe und der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII bestätigt. Es ergibt sich jedoch nun ein Einblick in die Bedeutsamkeit amtsspezifischer Organisation von Abläufen, die Bedeutung von Praktiken der Antragstallung und Begründung, der Verwendung von Begrifflichkeiten zur Beschreibung von Hilfe- und Unterstützungsbedarfen und die Einbeziehung von Adressat*innen in die Gestaltung von Hilfen. Die Erkenntnisse aus dem Projekt können dazu beitragen, die aktuelle Reformdiskussion für eine inklusive Gestaltung der Hilfen für Kinder und Jugendliche durch eine Gesamtzuständigkeit des öffentlichen Trägers der Jugendhilfe wissenschaftlich zu fundieren. Die Exploration der Ämter als Organisationen, die durch Kategorisierungsprozesse Formulierungen für Probleme und Bedarfe sowie Entscheidungen über Hilfen finden müssen, sensibilisiert für die Bedeutung der Organisation für die Kategorisierungsarbeit. Sie stellen in ihrer organisationalen Verfasstheit den Bezug her zu den jeweiligen Leitdisziplinen der Sozialpädagogik und der Heil- und Sonderpädagogik. In den Jugendämtern dominiert dabei die eigene fachliche Expertise im Allgemeinen Sozialen Dienst, während der Träger der Eingliederungshilfe insbesondere auf diagnostische Expertise im Gesundheitsamt rekurriert. In Bezug auf eine Neugestaltung wäre zu fragen, wie Ansätze der (Peer-)Beratung die Position der Leistungsberechtigten in den Verfahren stärken könnte und zu einer Relativierung einseitiger und stigmatisierender Zuschreibungen beitragen könnte. Die Erkenntnisse zur Einleitung von Hilfen, in denen die Personensorgeberechtigten in den Hilfen zur Erziehung als überfordert und inkompetent inszeniert werden, in der Eingliederungshilfe hingegen als kompetente, selbstbestimmte Organisator*innen der Hilfen für ihre Kinder, führt zu einer Kritik der Diskurse über die Adressat*innen in den jeweiligen Feldern. Unterstützungsbedarf besteht zumeist in komplexen Situationen, deren Verständnis durch vereinfachte, standardisierte Bedingungen der Leistungsberechtigung nicht übergangen werden darf. Der Partizipation der Adressat*innen, der Kinder und Jugendlichen sowie ihrer Personensorgeberechtigten wird in beiden Feldern auch aufgrund menschenrechtlicher Vorgaben auf der normativen Ebene ein hoher Stellenwert zugemessen. Im fachlichen Diskurs wird darüber hinaus auf die Notwendigkeit der Beteiligung an der Herstellung von Folgen sozialer Dienstleistungen hingewiesen. Die Praxis der Bedarfsermittlung und der Entscheidung über Unterstützungsmaßnahmen werden in beiden Feldern diesen Vorgaben nicht gerecht. Der Frage, wie eine inklusive und partizipative Ausgestaltung der Verständigung über individuelle Bedarfe und Hilfen möglich ist, ist daher die Kernfrage einer Gesamtzuständigkeit einer inklusiven Kinder- und Jugendhilfe. Auf die Bearbeitung dieser Frage mit den verantwortlichen Akteur*innen der Kinder- und Jugendhilfe in zwei ausgewählten Kommunen zielt das von Teilen des Projektteams entwickelte Transferprojekt.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2018): Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention für ein "inklusives SGB VIII". In: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 49 Jg., Heft 1, S. 4–14
Rohrmann, Albrecht
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(2019): Hilfeplanung ist mehr als ein Verfahrensablauf – Ein Plädoyer zur Öffnung der aktuellen Fachdiskussion im Kontext der SGB VIII-Reform. In: Neue Praxis (49) H. 2: S. 198-207
Hopmann, Benedikt/ Rohrmann, Albrecht Wolfgang Schröer und Ulrike Urban-Stahl
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(2019): Sozialpädagogische Perspektiven auf eine inklusive Kinder- und Jugendhilfe. In: Reimer, Daniels (Hg.): Sozialpädagogische Blicke. Weinheim/Basel: Beltz/Juventa, S. 242–253
Rohrmann, Albrecht
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(2019): Teilhabe durch*in*trotz Kategorisierung? Kategorisierungsarbeit in Hilfen für Kinder und Jugendliche. In: Kommission Sozialpädagogik der DGfE (Hrsg.): Teilhabe in*durch*trotz Sozialpädagogik. Weinheim, Basel: Beltz Juventa, S. 115-130
Renker, Anna/ Molnar, Daniela/ Ackermann, Timo/ Bastian, Pascal
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(2019): Wirklichkeit schaffen mit Akten? Empirische Zugänge zur Kategorisierungsarbeit in Jugend- und Sozialämtern. In: Schoyerer, G./ Frank, C./ Jooß-Weinbach, M./ Loick Molina, S. (Hrsg.): Der Weg zum Gegenstand in der Kinder- und Jugendhilfeforschung. Methodologische Herausforderungen für qualitative Zugänge. Weinheim/Basel: Beltz/Juventa, S. 124- 144
Molnar, Daniela/ Renker, Anna
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(2020): Verwaltungsdokumente in der Kinder- und Jugendhilfe und Eingliederungshilfe. Kategorisierungsarbeit im Vergleich. In: Soziale Probleme (30), S. 221-241
Renker, Anna