Der "zukünftige Menschheitsbau": Knud Ahlborn (1888-1977). Dimensionen 'bürgerlicher' Erneuerungspraxis und Ideologie in der Jugend- und Lebensreformbewegung im 20. Jahrhundert.
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das bearbeitete Projekt setzt Maßstäbe für die wissenshistorische und ideengeschichtliche Erforschung der bürgerlichen Jugendbewegung und insbesondere der sie prägenden Freideutschen. Ausschlaggebend hierfür ist die im Rahmen des Projekts erarbeitete bisher fehlende Ideengeschichte der Freideutschen, die – abweichend von der ursprünglich geplanten biographie intellectuelle – eigenständiges Thema der Untersuchung wurde. Mit der im Rahmen der Untersuchung entwickelten Charakteristik und Typologie der kreisbezogenen Praxis des freideutschen Denkkollektivs wurde erstmals ein begrifflicher und theoretischer Referenzrahmen geschaffen, an den künftige Studien zur deutschen Gesellschafts-, Kultur-, Ideen- und Avantgardegeschichte über die Jugendbewegungsforschung hinaus anknüpfen können. Auf Grundlage der Untersuchung lassen sich jugendbewegte Biografien und Wirkungskreise Freideutscher besser verstehen und in der deutschen Gesellschafts- und Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts verorten. Ferner ist die Typologie so konzipiert, dass sie innerhalb der Gesellschafts-, Kultur-, Ideen- und Avantgardegeschichtsschreibung zur Bildung neuer idealtypischer Begriffe anregen soll. Wegen ihres in den Frage- und Analysehorizont eingebetteten akteursbezogenen Modernisierungstheorems und der im Rahmen der Typologie entwickelten Avantgardeforschung ist die Untersuchung außerdem ein wichtiger Beitrag zur Geschichte der Avantgarden in Deutschland im 20. Jahrhundert. Die Untersuchung gibt Aufschluss über die Auseinandersetzung des die bürgerliche Jugendbewegung entscheidend prägenden freideutschen Akteurskollektiv mit der Modernisierung im weiten Kontext alternativer Modernevorstellungen und Wegsuche in die Moderne. Im Hinblick auf die westdeutsche Gesellschaft der 1960er Jahre und mögliche Transferlinien zu den Neuen Sozialen Bewegungen in den 1970er/80er Jahren ist die von den Freideutschen geprägte Subjekt- und Gemeinschaftskultur anschlussfähig für weitere Studien, die sich mit der Avantgarde-, Gesellschafts-, Kultur- und Ideengeschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert befassen und nach der Entwicklung gesellschaftlicher Handlungsfelder und bürgerlicher Subjektivierungsund Beteiligungsformen fragen. Insgesamt lässt sich anhand der entwickelten Ideengeschichte der Freideutschen das Wechselspiel ideeller, politischer, kultureller und sozialer Veränderungsprozesse im Zusammenhang mit der Modernisierung und dem Wandel gesellschaftlicher Ordnungssysteme im 20. Jahrhundert darstellen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Der „neue“ Mensch als Aufgabe für das 20. Jahrhundert, in: Claus Bacher/Hartmut Schiller (Hrsg.), 100 Jahre Klappholttal auf Sylt. 1919 bis 2019. Natur und Bildung in der Akademie am Meer, Husum 2019, S. 204–206
Christian Volkholz
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Knud Ahlborn. Eine neue geistige Elite für das 20. Jahrhundert, in: Meike G. Werner (Hrsg.), Ein Gipfel für Morgen. Kontroversen 1917/18 um die Neuordnung Deutschlands nach dem Krieg auf Burg Lauenstein, Marbacher Schriften NF, Bd. 18, Göttingen 2021, S. 148–152
Christian Volkholz
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Freideutsch. Programm und Praxis einer kulturellen Avantgarde in Deutschland im 20. Jahrhundert, Berlin/Boston 2022
Christian Volkholz