Bildungsräume: Bildungsschriften und soziale Praxis im Zeitalter der amerikanischen Romantik
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt lotete Möglichkeiten und Grenzen literarischer Bildungspraktiken im Zeitalter der amerikanischen Romantik aus. Die entstandene Monographie erfasst die Bildungspraktiken der amerikanischen Romantik erstmals systematisch. Sie etabliert die amerikanische Romantik, und hier vor allem den Teilbereich des amerikanischen Transzendentalismus, als zentrale Episode der amerikanischen Bildungsgeschichte. Die Reformbestrebungen der amerikanischen Romantiker im Zeitraum von 1800 bis 1861, von der frühen Republik bis zum amerikanischen Bürgerkrieg, der die Zäsur in der Geschichte der Romantik darstellt, zielten darauf ab, alternative Bildungsräume zu schaffen und in diesen kreative, kooperative soziale Praktiken zu generieren, die den dominanten strukturerhaltenden Bildungspraktiken der Zeit zuwiderliefen. Das Projekt knüpft an die einsetzende bildungswissenschaftliche Neubewertung der amerikanischen Literatur des 19. Jahrhunderts an, ergänzt und erweitert aber, indem es erstmalig eine kultursoziologische und kulturtheoretische Aufarbeitung der romantischen Erziehungsschriften von 1800 bis 1861 vorlegt. Die Romantik erscheint nicht mehr nur als zentrale ideengeschichtliche Epoche; vielmehr wird sie ebenso als literarisch-pädagogische Bewegung verstanden, die sich als konkrete Praxis in spezifischen medialen und institutionellen Konstellationen manifestierte und so ihre Wirkung entfaltete. Der geographische Fokus des Projekts lag auf dem Einzugsbereich Bostons. Dort kristallisierten sich in der Zeit zwischen 1800 und 1861 eine Vielzahl nichtfiktionaler Genres der Bildungsliteratur heraus, die unmittelbar Teil der pädagogischen Praxis der Zeit waren und somit eine entscheidende Rolle bei der Reproduktion und Neuordnung institutioneller Machtverhältnisse spielten. Aufgrund der historischen Verschiebungen wie auch der Eigendynamik des Bildungsfelds ergab sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Möglichkeit, neue Praktiken zu etablieren, die gängige Vorstellung schulischer und universitärer Hierarchien im Sinne eines romantischen Dialogs hinterfragten und damit die Legitimation der Eliten innerhalb und außerhalb des Felds einer weitreichenden Kritik unterzog. Die Romantiker nutzten diese Konstellation für ihre literarisch-pädagogischen Reformvorhaben. Von Amos Bronson Alcotts dialogisch angelegter Kindererziehung über Margaret Fullers Journalismus, den sie als populäre Version ihrer Konversationen für Frauen sah, bis hin zu den öffentlichendemokratischen Foren der Lyzeen, derer sich Emerson und Thoreau bedienten, etablierten die Romantiker alternative Bildungsräume, in denen Praktiken eingeübt wurden, die der Wissensreproduktion im Namen der neuenglischen Bildungselite zuwiderliefen. Für die Realisierung einer solchen praxeologischen Analyse war eine theoretische und archivarische Neujustierung der Romantik nötig, die im Laufe der ersten Projektphase noch einmal angepasst und erweitert wurde. Die Archivfunde (v.a. die bisherige Sichtung der Zeitschriften und der Tagebücher Alcotts) haben zu einer Neuorganisation des Buchprojekts geführt. Thematisch und methodologisch folgt das Buch nach wie vor dem ursprünglichen Vorhaben; die Kapitel wurden aber zunehmend entlang der medialen und institutionellen Gegebenheiten des jeweiligen Bildungsgenres strukturiert, da diese die jeweilige Bildungspraxis maßgeblich bestimmten. Das Narrativ des Buchs zeigt nun, wie die medialen und institutionellen Möglichkeiten des 19. Jahrhunderts den Bildungsvorhaben Gehör verschafften, diesen in einer zunehmend ausdifferenzierten Moderne aber gleichzeitig auch immer mehr Grenzen setzten.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- “The Great Work of Mutual Education: Class and the Position of the Intellectual in Margaret Fuller’s European Dispatches.” ESQ: A Journal of Nineteenth-Century American Literature and Culture 66.3 (2020): 251-85
Clemens Spahr
(Siehe online unter https://doi.org/10.1353/esq.2020.0015)