Eye movement modeling examples als Instruktionsansatz in der Organischen Chemie
Organische Molekülchemie - Synthese, Charakterisierung
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Der Umgang mit fachspezifischen, komplexen Repräsentationen ist in vielen Disziplinen eine zentrale Herausforderung für Studierende. In der Organischen Chemie sind es chemische Formeln und Reaktionsmechanismen, die von zentraler Bedeutung für das Fachverständnis sind, jedoch vielen Studierenden große Schwierigkeiten bereiten. Der erfolgreiche Umgang mit Repräsentationen erfordert die Fähigkeit, aus der Repräsentation die entsprechenden domänenspezifischen Konzepte abzuleiten. Um Studierende bei der Verknüpfung von Repräsentationen mit fachlichen Konzepten zu unterstützen, wurden im Rahmen des Projekts gezielt Instruktionsmaterialien entwickelt und umfangreich in ihrer Wirkungsweise untersucht. Dabei wurde zum einen auf den Ansatz der eye movement modeling examples (EMME) zurückgegriffen. Dabei handelt es sich um Aufzeichnungen von Blickbewegungen von Expert*innen bei der Bearbeitung von Problemlöseaufgaben, in diesem Fall von Aufgaben im Kontext von Reaktionsmechanismen. Diese Blickbewegungen sollen die Aufmerksamkeit der Lernenden effizient auf die thematisch relevanten Merkmale der Darstellung lenken sowie den dynamischen und adaptiven Argumentationsprozess einer Expertin oder eines Experten nachahmen. Als zweite Hervorhebungstechnik wurde zum anderen die Verwendung von farbkodierten funktionellen Gruppen innerhalb der Strukturformeln gewählt, wie sie auch in gängigen Lehrbüchern der Organischen Chemie zu finden sind. Die entwickelten Instruktionsmaterialien wurden im Rahmen des Projekts in einer Serie von drei Teilstudien auf Basis eines Mixed-Methods-Designs eingesetzt, das zwei randomisierte Kontrollgruppenstudien, Tiefeninterviews sowie Eye-Tracking umfasste. In einer ersten Studie konnte aufgezeigt werden, dass sich das Blickverhalten, aber auch das inhaltliche Vorgehen von Personen unterschiedlicher Expertise (Anfänger*innen und fortgeschrittene Studierende sowie Dozierende) bei der Bearbeitung von Fallvergleichsaufgaben in der Organischen Chemie erkennbar voneinander unterscheidet. Der Vergleich der Expert*innen untereinander zeigte zudem auf, dass diese Gruppe in ihrem visuellen Blickverhalten weniger homogen ist als die Studierendengruppen, was die Auswahl eines Blickmodells für die Erstellung von EMME erschwert. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen wurden Instruktionsmaterialien in Form von Erklärvideos entwickelt, die gezielte Visualisierungen und Erklärungen im Kontext von nukleophilen Substitutionsreaktionen für Studierende bereitstellten. Grundlage war eine fachdidaktisch geskriptete, strukturierte Erklärung, die sowohl fachliche als auch strategische Komponenten der Aufgabenbearbeitung enthielt. Diese Erklärung wurde in drei Varianten um verschiedene Hervorhebungen (keine, statische Hervorhebung funktioneller Gruppen bzw. dynamische Hervorhebung im Sinne eines EMME) ergänzt, um die Aufmerksamkeit der Studierenden auf die relevanten Teile der abgebildeten Aufgabenstellung zu lenken. Die Ergebnisse zeigten, dass Studierende, die die Videos mit dynamischen Hervorhebungen sahen, in direkten Reproduktionsaufgaben elaboriertere Antworten gaben. Im Lernzuwachs vom Vor- zum Nachtest zeigte sich ein signifikanter Lernzuwachs, der aber nicht in Abhängigkeit des implementierten Hervorhebungsformats unterschiedlich ausfiel. Auf Basis weitergehender Analysen zeigte sich jedoch, dass geringes Vorwissen sowohl durch statische als auch durch dynamische Hervorhebungen z.T. kompensiert werden kann. Die Wirkung der Videos findet sich auch in den Ergebnissen der differenzierten qualitativen Inhaltsanalyse der Interviewdaten, bei denen sich verstärkt Erklärelemente der Videos in den Erklärungen der Studierenden finden. Auch die Befunde des Eye-Trackings unterstreichen die Schlussfolgerung, dass dynamische Hervorhebungen den Studierenden helfen, ihre Aufmerksamkeit besser auf die relevanten Merkmale der Darstellungen zu richten. Gleichzeitig zeigt sich, dass dadurch die wahrgenommene kognitive Belastung verringertet wird. Übergreifend deuten die Projektergebnisse darauf hin, dass Erklärvideos ein möglicher Ansatz sein können, um Studierende im Umgang mit komplexen fachlichen Repräsentationen zu unterstützen. Die Strukturierung der inhaltlichen Erklärung sowie die Verwendung von Hervorhebungstechniken erhöhen die Zugänglichkeit dieser Lernressource für Studierende. Die unmittelbare Verwendung von EMME auf Basis authentischer Aufgabenbearbeitungen durch Expert*innen scheint jedoch bei komplexen Aufgabenstellung an Grenzen zu stoßen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- (2020). Decoding Case Comparisons in Organic Chemistry. Eye-Tracking Students’ Visual Behavior. Journal of Chemical Education, 97 (10), 3530–3539
Rodemer, M., Eckhard, J., Graulich, N. & Bernholt, S.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1021/acs.jchemed.0c00418) - (2021). "Welches Erklärniveau?". Analyse von Erklärungen von Dozierenden der organischen Chemie. In S. Habig (Hrsg.), Naturwissenschaftlicher Unterricht und Lehrerbildung im Umbruch? Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik, Jahrestagung 2020 (S. 216–219). Essen: Universität Duisburg-Essen
Eckhard, J., Rodemer, M., Bernholt, S. & Graulich, N.
- (2021). Connecting explanations to representations. Benefits of highlighting techniques in tutorial videos on students’ learning in organic chemistry. International Journal of Science Education, 43 (17), 2707–2728
Rodemer, M., Eckhard, J., Graulich, N. & Bernholt, S.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1080/09500693.2021.1985743) - (2022). Let's frame it differently – analysis of instructors’ mechanistic explanations. Chem. Educ. Res. Pract., 23 (1), 78–99
Eckhard, J., Rodemer, M., Langner, A., Bernholt, S. & Graulich, N.
(Siehe online unter https://doi.org/10.1039/D1RP00064K)